Jungle World, 25. April 2013

Wir Sensibelchen

Böhmische Dörfer (22): Warum Journalisten mehr Mut zur Selbstkritik haben sollten

Wir Medienleute nehmen uns selbst ziemlich wichtig. Schließlich sind es Journalisten, die im Auftrag der Öffentlichkeit den Mächtigen auf die Finger schauen und auf selbige hauen, sollten sie mal wieder Unsinn machen. Und das kommt bekanntermaßen recht häufig vor. Als selbst ernannte Torwächter schützen Redakteure wie Rechercheure Land und Leute vor der Willkür der Herrschenden. Auf dass es keiner wage, über die Stränge zu schlagen! Und wenn doch, dann sind es die Medien als vierte Macht im Staate, die diesen Missstand lauthals kritisieren. Die Presse als Kontrolleur – so soll es, so muss es in einer Demokratie sein. Alles andere würde dem hehren Gedanken der Freiheit Hohn sprechen.

So weit zum Thema Eigenlob und Selbstwahrnehmung einer nicht ganz unbedeutenden Zunft. Das Problem ist allerdings: Denjenigen, die tagaus, tagein kaum eine Gelegenheit auslassen, andere zu kritisieren, mangelt es offenbar an der Tugend der Selbstkritik. Diesen Verdacht legt zumindest eine vergangene Woche vorgestellte Studie des Erich-Brost-Instituts für internationalen Journalismus an der TU Dortmund nahe. Fast 1700 Medienleute aus zwölf Ländern wurden dazu befragt, wie sie es mit Kontrolle und Regeln in den eigenen Reihen halten. Und siehe da, deutsche Journalisten scheinen recht empfindsame Wesen zu sein. Wir Sensibelchen nehmen zwar ständig Entscheidungsträger in die Mangel, sparen allerdings allzu oft mit Kritik an uns selbst und den Kollegen. Zudem fristen anscheinend Transparenz in den Verlagen und Sanktionen bei Fehlverhalten in den Redaktionen ein recht kümmerliches Dasein.

Verwunderlich ist das schon. Denn auch Medienmacher sind nun mal nur Menschen. Folglich unterlaufen ihnen Fehler. Mal kleinere, mal größere. Aber zuzugeben, dass das so ist, fällt vielen schwer. Dabei gibt es immer wieder Gründe dafür, mit sich selbst hart ins Gericht zu gehen. Als zum Beispiel der „Nationalsozialistische Untergrund“ Jagd auf Migranten machte und so eine Blutspur durch Deutschland zog, sprachen nicht nur Ermittler, sondern eben auch Journalisten herablassend von „Döner-Morden“. Man hatte sich dieser Diktion – und ihrer Botschaft „So sind Türken eben“– bedient, ohne sie ernsthaft zu hinterfragen. Eine Schande. Dennoch war von Reue wenig zu spüren. Dankenswerterweise wurde ja auch schnell klar, dass die Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung des NSU eigentlich alles falsch gemacht hatten. So konnten die Journalisten gleich wieder in die Offensive gehen – und die Versäumnisse der anderen lauthals anprangern.

Können Medien eigene Fehltritte und Fehlleistungen in der Berichterstattung vermeiden? Allenfalls, indem sie wirklich alles kritisch hinterfragen. Vor allem das eigene Handeln, also sich selbst. Und dies möglichst gewissenhaft.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

Telefon: +49(0)176.32 73 83 34

kontakt@christianboehme.info