The European, 17. Juni 2013

Zu früh gefreut

Der Sieg des Präsidentschaftskandidaten Rohani weckt Hoffnungen. Doch der Geistliche gehört zum iranischen Establishment

Iran jubelt. Zehntausende waren am Samstagabend auf den Straßen, um den haushohen Sieg des moderaten Präsidentschaftskandidaten Hassan Rohani zu feiern – und sich selbst. Denn das Wahlergebnis ist die klare Absage zumindest eines Teils des Volkes an die Erzkonservativen im Land. Die politischen Hardliner, die einen radikalen, unnachgiebigen Kurs nach innen und außen vertreten, haben einen herben Dämpfer erhalten. Mahmud Ahmadinedschads achtjährige Amtszeit, sie war für viele Iraner eine bleierne Zeit der Repression, des wirtschaftlichen Niedergangs, der außenpolitischen Isolation. Mit Hassan Rohani soll sich nun möglichst bald alles zum Besseren wenden. Der sieht die eigene Rolle offenbar ähnlich. „Dies ist ein Sieg der Weisheit, Mäßigung und des Engagements über den Extremismus“, kommentierte er seinen Erfolg im Staatsfernsehen. Es darf, es soll gejubelt werden.

Kein Wunder, dass auch das Ausland zufrieden durchatmet und dem neuen Staatschef freudestrahlend gratuliert. Schließlich ist Rohani sogleich zum neuen Hoffnungsträger auserkoren worden. US-Außenminister John Kerry zum Beispiel setzt nach eigenem Bekunden auf „verantwortliche Entscheidungen“, die eine bessere Zukunft für alle Iraner schaffen. Die Glückwünsche sind indes alles andere als uneigennützig. Denn man erwartet offenbar so etwas wie ein kleines diplomatisches Wunder: eine Islamische Republik, die sich fortan im Streit um ihr Atomprogramm kompromissbereit zeigt, die Forderungen des Westen erfüllt, alle Zweifel zerstreut und überhaupt ganz lieb zu allen ist. Selbst zu den Israelis.

Nur: Diese Vorstellungen gehören vermutlich in die Welt der unerfüllt bleibenden Träume. Auch ein sich gemäßigt gebender Staatschef namens Rohani kann und wird das außenpolitische Ruder nicht herumreißen. Ebenso wenig wird er den Iran in absehbarer Zeit zu einem neuen Hort der Freiheit und Toleranz machen. Aus vielerlei Gründen. Rohani ist Teil des Establishments und damit alles andere als ein lupenreiner Demokrat. Wäre es anders, Revolutionsführer Ajatollah Chamenei und der Wächterrat hätten den Kleriker gar nicht erst zur Wahl zugelassen. Ihn, wie andere unliebsame Kandidaten, bereits im Vorfeld aussortiert. Das Mullahregime kann also vorerst gut mit seinem Sieg leben. Rohani ist einer von ihnen. Zumal einer, der schon mehrfach einflussreiche Posten innehatte, also weiß, wie es im Land zuzugehen hat. Pragmatisch konservativ – so lässt sich Rohanis Einstellung wohl am treffendsten beschreiben.

Mit so einem mag es sich besser, weil angenehmer über Urananreicherung verhandeln lassen. Doch sollte sich der Westen keiner Illusion hingeben: Auch als „moderater“ Präsident wird Rohani nicht an den Grundfesten des Atomprogramms rütteln. Und selbst wenn der 64-Jährige es wollte, wären ihm ohnehin de facto die Hände gebunden. Denn im Machtgefüge der Theokratie spielt der Staatschef zwar eine wichtige Rolle, aber keineswegs eine entscheidende. Allein Chamenei und seine treuen Gefolgsleute befinden über die Geschicke des Iran. Und der oberste Mullah hat bislang keinen Zweifel daran gelassen, dass seiner Ansicht nach das Land nuklear aufrüsten muss. Und mehrfach hat er deutlich gemacht, dass die „Zionisten“ zu seinen Erzfeinden gehören.

Ebenfalls spricht derzeit wenig dafür, dass sich innenpolitisch Grundlegendes ändert. Viele junge Menschen mögen große Umwälzungen von Rohani erwarten. Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit, ein pluralistisches Gemeinwesen – darauf hoffen nicht nur Sympathisanten der vor vier Jahren niedergeknüppelten „grünen Bewegung“. Doch diese allzu verständlichen Wünsche wird der künftige Präsident kaum erfüllen können, ja wollen. Denn er entstammt dem System, ist seit Jahrzehnten ein Teil davon. Und gerade Demokratie ist für dieses Regime in erster Linie eines: Teufelszeug. Staatschef Ruhani? Kein Grund zum Jubeln.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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