Der Tagesspiegel, 21. Oktober 2013

„Die Israelis sind noch nicht bereit für Frieden“

Der palästinensische Außenminister Riyad al Malki über den Nahostkonflikt, Deutschlands Rolle und eine historische Chance

Herr Malki, warum gibt es immer noch keinen Frieden zwischen Palästinensern und Israelis?
Eine gute Frage. Nach all den Jahren und zahllosen Anläufen muss man wohl sagen: Die Israelis sind noch nicht bereit für den Frieden. Sie wollen ihn offenkundig nicht.

Was macht Sie da so sicher?
Die Israelis besetzen jeden Tag mehr Land, das ihnen nicht gehört. Sie missachten unsere Grenzen und machen keine Anstalten, daran etwas zu ändern. Sie glauben, sich über alle Regeln und Gesetze hinwegsetzen zu können, auch über das Völkerrecht.

Dennoch wird derzeit unter Vermittlung der USA wieder über eine Lösung des Nahostkonflikts verhandelt. Wie verlaufen die Gespräche?
Die Verhandlungen sind auf neun Monate angesetzt. Dann soll es zwei Staaten entlang der Grenzen von 1967 geben. Nur: Jetzt sind fast drei Monate ohne jede positive Entwicklung, geschweige denn Resultate, vergangen. Wir haben keinen Anlass zu glauben, dass sich das in der nächsten Zeit noch ändern wird. Das verärgert uns sehr. Denn wenn es so weitergeht, dann kann man schon heute sagen, wie die Gespräche enden werden. Das ist umso bedauerlicher, weil wir glauben, dass dies vermutlich die letzte Chance für eine Übereinkunft ist.

Das klingt defätistisch. Gibt es denn überhaupt keinen Grund für etwas mehr Optimismus?
Wir haben noch ein bisschen Zeit, Optimisten zu werden. Dazu ist jedoch eine realistische Einschätzung der Gegebenheiten notwendig. Es reicht eben nicht, nur von außen zuzuschauen und sich möglichst zuversichtlich zu geben. Man muss handeln, Fakten schaffen. Sollten die Gespräche scheitern, weiß keiner, was passieren wird. Ich fordere deshalb die internationale Staatengemeinschaft auf, uns nicht immer nur viel Glück zu wünschen, sondern sich mehr zu engagieren.

Inwiefern?
Die internationale Gemeinschaft muss Israel davon überzeugen, dass Frieden in seinem ureigensten Interesse liegt. Nicht zuletzt, wenn man sich die Instabilität der Region vor Augen führt. Denken Sie nur an Ägypten, Syrien, Libanon oder den Irak.

Welche Rolle kann Deutschland dabei spielen?
Natürlich sind die USA letztlich der entscheidende Akteur. Deutschland und die EU sollen ja auch die Vereinigten Staaten nicht ersetzen, sondern unterstützen. Wenn es um die politische Ebene geht, sieht sich Washington zwar in einer zentralen Position. Aber sofern wirtschaftliche und sicherheitspolitische Aspekte betroffen sind, könnten die EU und Deutschland wichtige Aufgaben übernehmen. Die Bundesrepublik hat zum Beispiel sehr gute Beziehungen zu Israel. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um den Israelis klar zu machen, was das Beste für sie ist.

Und das wäre?
Siedlungen auf besetztem Gebiet zu bauen und Palästinenser zu töten, gehört sicherlich nicht dazu. Israel muss endlich erkennen, dass eine Übereinkunft mit uns auch die Möglichkeit eröffnet, Frieden in der ganzen Region zu schaffen. Viele arabische Länder wären bereit, Israel als Staat anzuerkennen, wenn es Frieden mit Palästina schließen würde. Das hätte auch ökonomische Vorteile für alle Beteiligten. Doch Israel ist komplett blind, verschlossen und eigensinnig.

Und das ist ein Haupthindernis auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung?
Ja, denn Israel verweigert sich, will die Notwendigkeit eines Endes der Besatzung einfach nicht erkennen. Dabei müsste man die gegenwärtige historische Chance nutzen. Doch dafür bräuchte man die richtigen Staatsmänner und Regierungschefs.

Israel Premier Benjamin Netanjahu ist dafür der Falsche?
Noch kann er beweisen, dass er der Richtige ist. Wir werden das genau beobachten. Bis zum geplanten Ende der Gespräche bleiben allerdings nur wenige Monate.

Apropos Hindernisse: Was ist mit den jüdischen Siedlungen im Westjordanland?
Die sind nach internationalen Gesetzen eindeutig illegal. Deshalb begrüßen wir auch den Vorstoß der Europäischen Union,  Produkte und Waren aus den besetzten Gebieten entsprechend zu kennzeichnen.

Was hätte Israel davon, wenn es sich bei den Siedlungen kompromissbereit zeigte?
Für eine Friedensvereinbarung wären wir sogar bereit, Territorien zu tauschen. So könnten einige Siedlungen Bestandteil des israelischen Staats werden. Doch die Netanjahu-Regierung ignoriert alle Appelle und baut einfach weiter – sogar während wir verhandeln. Daran sieht man, dass sie versuchen, uns auf den Arm zu nehmen.

Aber Israel legt nun mal großen Wert darauf, dass die Sicherheit des jüdischen Staates gewährleistet ist. Sind die Palästinenser bereit, dafür zu garantieren?
Die Israelis suchen seit 1948 nach Sicherheit. Aber die werden sie erst finden, wenn es einen unabhängigen palästinensischen Staat gibt. Das hat auch US-Präsident Obama vor kurzem in einer Rede vor den Vereinten Nationen gesagt. Und, nicht zu vergessen: Im Westjordanland arbeiten wir mit den Israelis in Sicherheitsfragen bereits durchaus erfolgreich zusammen.

Es gibt also positive Ansätze. Darf man daher doch noch auf Frieden hoffen oder entbehrt diese Hoffnung jeder realistischen Grundlage?
Auf jeden Fall ist Frieden keine Illusion. Ich bin durchaus optimistisch, dass wir uns eines Tages einigen werden. Vielleicht nicht mit der jetzigen israelischen Regierung, aber mit einer der nächsten. Eine Lösung des Nahostkonflikts ist überfällig.

Riyad al Malki, geboren 1955, ist seit vier Jahren palästinensischer Außenminister. Der promovierte Bauingenieur koordiniert zudem ein arabisches Programm zur Unterstützung und Entwicklung von Demokratie. Er gilt als enger Vertrauter von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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