Jungle World, 7. Februar 2014

Dschungelfieber

Böhmische Dörfer (35): Warum das RTL-Trashformat auf mediale Begleitmusik angewiesen ist

Der Mensch, ein halbwegs vernunftbegabtes Wesen? Eines, das immerfort danach strebt, von seinem Intellekt Gebrauch zu machen? Seinen Verstand stets nutzen will, um sich zum Beispiel mithilfe der Medien weiter zu bilden? Von wegen! Zumindest für die Spezies "Deutscher Fernsehkonsument" kommt diese Ein- und Wertschätzung wohl nur sehr eingeschränkt in Betracht. Vielmehr gehört jene Art offenkundig zur Gruppe der Herdentiere. Eine plumpe wie dumpfe und somit willig lenkbare Masse, die brav einem gemeinsamen Trieb folgt. Und die Herde kannte in den vergangenen Wochen nur eine Richtung: Dschungelcamp.

Das RTL-Trashformat hat in seiner jüngsten Auflage jede noch so hohe Quotenhürde locker übersprungen. Melanies verdiente Krönung zur Königin des TV-Urwalds verfolgten 8,6 Millionen Zuschauer. Bei dem 16-tägigen Gezeter, Geheule und Geschreie waren durchschnittlich kaum weniger Menschen mit von der Partie. Die Seifenoper im australischen Feuchtbiotop brach auch auf Twitter einige Rekorde. Zeitweise gab es bis zu 200 Tweets pro Minute, wenn einer der Camp-Bewohner wieder mal den Wendler machte, Model Larissa ihren Kontrahenten im Kampf um den Thron auf die Nerven ging oder Opa Winfried dem Wahnsinn ein Gesicht gab.

Genau diese Mischung aus Voyeurismus, Häme und Boshaftigkeit scheint das Erfolgsrezept der Show zu sein. Während die Dschungelprüfungen als Beiwerk kaum noch ein müdes Gähnen hervorrufen, stehen die psychischen Abgründe der Kandidaten im Vordergrund. Sie gleichen mit ihren Macken und Marotten alten Bekannten, über die man auch im Treppenhaus gerne lästert. Nun lebt man seine Schadenfreude eben vor dem heimischen Fernsehgerät aus, kann gemeinsam mit Gleichgesinnten nach Herzenslust klatschen und tratschen. Ein Unterhaltungsformat, das man je nach Befindlichkeit schätzen oder verdammen kann.

Doch seinen unfassbaren Erfolg verdankt das Dschungelcamp nicht allein sich selbst, sondern vor allem den hiesigen Medien und ihren Machern. Denn sie sind es, die die Seifenoper pushen. Mal mit mehr, mal mit weniger seriösem Anstrich. Keine Frage, der PR-Abteilung von RTL ist es gelungen – Respekt, liebe Kollegen! – ihren Fernseh-Urwald den Massen schmackhaft zu machen.

Sie konnte sich dabei vor allem auf eine Größe der Branche quasi blind verlassen: die Bild-Zeitung und ihren Online-Ableger Bild.de. Beide Produkte aus dem Hause Springer haben wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, den Dschungel tagtäglich großformatig zu bewerben. Fast ist man versucht, hinter dieser Penetranz eine Art Absprache zu vermuten. Und womöglich hatte diese nur ein Ziel: den eigentlich vernunftbegabten Homo sapiens in ein sich willig leitendes Herdentier zurück zu verwandeln. In acht Millionen Fällen hat es offenkundig gut funktioniert.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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