Der Tagesspiegel, 31. Oktober 2014

Die Sache mit der Hühnerkacke

Bislang galt das Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu als schwierig. Jetzt scheint es völlig zerrüttet zu sein. Das ist vor allem ein Problem für Israel

Manchmal genügt ein einziges Wort, um jemanden vorzuführen. Diese bittere Erfahrung macht gerade Benjamin Netanjahu. Der Begriff, der jetzt die Runde macht, ist wirklich alles andere als schmeichelhaft: Israels Premier sei „Chickenshit“, sagte eine hoher Beamter der Obama-Regierung dem Reporter Jeff Goldberg.

Wörtlich übersetzt heißt das „Hühnerkacke“. Aber jeder weiß, was damit tatsächlich gemeint ist: Netanjahu sei ein Feigling, ein Angsthase. Der Verbündete in Washington hält ihn also offenkundig für einen Schisser. Einen, der keinerlei Mumm hat, im Nahen Osten etwas zum Positiven zu bewegen. Weil er sich nur seinem eigenen Vorteil verpflichtet fühlt.

Ein schlechteres Zeugnis hätte man dem konservativen Regierungschef kaum ausstellen können. Doch die Stichelei macht deutlich, wie es um die amerikanisch-israelischen Beziehungen bestellt ist: So schlecht wie nie. Und das will etwas heißen. Denn das Verhältnis gilt schon lange als belastet.

Dass jetzt die Stimmung auf einem Nullpunkt angelangt ist, hat mehrere Gründe. In Washington gibt man Netanjahu eine Mitschuld, vermutlich sogar die Hauptschuld am Scheitern der jüngsten Friedensgespräche. Der habe praktisch permanent die Verhandlungen mit den Palästinenser torpediert, vor allem durch Siedlungsbauprojekte im Westjordanland und Ostjerusalem. Zu schmerzhaften Kompromissen sei „Bibi“ ohnehin nicht bereit. Der Status quo reiche ihm völlig aus.

Israel wiederum ließ kaum ein gutes Haar an den Vermittlungsbemühungen von US-Außenminister John Kerry. Im Januar, kurz vor dem Abbruch der Gespräche, warf Verteidigungsminister Mosche Jaalon Amerikas Chefdiplomat vor, dieser sei geradezu besessen, Frieden in Nahost zu schaffen. Gleichzeitig mangelt es Kerry aus Sicht Jerusalems an Verständnis für die besonderen Gegebenheiten in der Region. Kein Wunder, dass man im Weißen Haus schäumt vor Wut: Da legt man sich für den jüdischen Staat ins Zeug, und der Lohn? Nichts als Spott und Häme.

Die Krise zwischen beiden Ländern wird zudem durch persönliche Animositäten verschärft. Der US-Präsident hält Netanjahu für einen Sturkopf, der zu keinerlei ernsthaften Konzessionen gegenüber Palästinenserchef Mahmud Abbas bereit ist. Der Premier wiederum sieht im Chef der Supermacht ein Weichei, der zwar großspurige Ankündigungen macht, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Syriens Machthaber Baschar al Assad, aber nichts davon in die Tat umsetzt.

Schon wird gemunkelt, Obama könnte nach den Kongresswahlen einen noch schärferen Kurs gegenüber Jerusalem einschlagen. Zum Beispiel, indem die USA nicht mehr länger in den Gremien der UN ihre schützende Hand über Israels Staat halten. Vielleicht würde Washington sogar bei Gelegenheit eine Resolution gegen den Siedlungsbau passieren lassen.

Umtreiben muss das vor allem Israel. Dem Land könnte sein wichtigster Verbündeter abhanden kommen. Und das in einer Zeit, in der es Israel ohnehin an Freunden und Unterstützern mangelt. Deshalb werden die Stimmen immer lauter, die Netanjahu zum Handeln auffordern. Der Premier dürfe nicht länger Washington verprellen, sondern müsse auf Amerika zugehen. Aber keiner rechnet damit, dass er dies tun wird. Und niemand geht davon aus, dass Obama plötzlich auf einen Entspannungskurs umschwenkt. Zwei Jahre wird der US-Präsident noch die Geschicke Amerikas lenken. Es könnten sehr einsame Jahre für Israel werden. Dringend Zeit, mutig gegenzusteuern. Hühnerkacke hin oder her.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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