Jungle World, 4. Dezember 2014

Von Einheimischen und Mehrheimischen

Böhmische Dörfer (48): Warum die Wortwahl bei einigen Themen eine Herausforderung sein kann

Worte können mächtige Waffen sein. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, Dinge in eine bestimmte Richtung zu lenken, Menschen aufzubauen oder niederzumachen. Und weil Sprache einen derart großen Einfluss besitzt, sind vor allem Journalisten verpflichtet, mit Bedacht zu formulieren. Doch zum berufsbedingten Rüstzeug gehört eben auch, dass man oft vereinfachen muss, um Kompliziertes verständlich darzustellen. Gleichzeitig soll das Dargestellte inhaltlich korrekt sein – im Alltag ist das eine echte Herausforderung. Und nicht immer meistert man sie.

Bei der Integrationsdebatte zum Beispiel lauern viele Gefahren. Ein falsches Wort und man steht als Depp oder Provokateur da. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Begrifflichkeiten oftmals die notwendige Klarheit vermissen lassen. Einwanderer, Zuwanderer, Migrant – alles das Gleiche? Weit gefehlt! Zumindest nach Ansicht einer Gruppe namens »Neue deutsche Medienmacher«. Deshalb hat dieser »bundesweite Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln« nun ein Glossar veröffentlicht. Eine 20seitige Handreichung für die lieben Kollegen, pardon, KollegInnen.

Das Problem dieser Hilfestellung: Sie ist nett gemeint und durchaus hilfreich, allerdings häufig auch übertrieben pedantisch. Und im Bemühen, um Gottes willen niemanden auszugrenzen, manchmal ziemlich schräg. Ich hielt zum Beispiel bislang das Wort »Einheimische« für recht unverfänglich. Doch die neuen Medienmacher belehren mich eines Besseren. Der Begriff erzeuge ein schiefes Bild, weil viele Eingewanderte und ihre Kinder hier längst heimisch seien. Und wenn es unbedingt »Einheimische« in der Berichterstattung sein sollen, dann dürfen die »Mehrheimischen« keinesfalls fehlen!

Auch das Wort »wir« ist keinesfalls so harmlos, wie es daherkommt. Es kann nämlich ausgrenzend verwendet werden. Deshalb sind (wir) Journalisten gut beraten, »durch die Verwendung keine Zuschauer, Zuhörer oder Leser außen vor zu lassen«. Ich muss zugeben, die Gefahr, die vom Wir ausgeht, habe ich bislang fahrlässig unterschätzt.

Dafür übertreibe ich offenbar maßlos, wenn ich das Wort »Jihad« als Synonym für »Heiliger Krieg« verwende. Nun wird mir erklärt: Jihad kann sich auf den Kampf gegen das Böse im Herzen beziehen oder auf die zulässige Verteidigung von Muslimen. »Gotteskrieger« köpfen die Menschen also offenbar nur, um Schlimmeres zu verhindern. Von der »Parallelgesellschaft« lasse ich künftig auch die Finger. Denn mit diesem Wort wird den Menschen unterstellt, sie wollten sich nicht integrieren. Dabei ist für Integration die gesamte Gesellschaft verantwortlich. Also, liebe Einheimische und Mehrheimische, auf geht’s.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

Telefon: +49(0)176.32 73 83 34

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