Jungle World, 1. Januar 2015

Tschüss, Dämonisierung!

Böhmische Dörfer (49): Warum das kommende Jahr ein gutes ist, um sich von der gängigen Israel-Berichterstattung zu verabschieden

Das vergangene Jahr war ein Weltkriegsjahr. Fast pausenlos wurde an die Katastrophe von 1914 erinnert. Dicke Wälzer, die Beginn, Verlauf und Folgen des Ersten Weltkriegs bis ins abseitige Detail analyiserten, stapelten sich meterhoch in den Buchhandlungen. Im Fernsehen, Radio und in den Feuilletons der gedruckten oder digitalen Zeitungen gab es hundert Jahre nach dem großen Knall hitzige Debatten über die Schuldfrage. All jene, die dann immer noch nicht genug vom 1. WK hatten, konnten ihre Nachmittage in diversen Ausstellungshallen verbringen.

Wer nun aber glaubt, das war’s mit dem Gedenken, der irrt. 2015 wird wieder ein Weltkriegsjahr. Denn im Mai vor 70 Jahren endete der zweite globale Waffengang, kurz WK 2, - und mit ihm der fabrikmäßige Völkermord an den europäischen Juden. Da mag es wie ein kleines Wunder scheinen, dass in diesem Jahr auch ein anderes historisches Jubiläum begangen wird: Vor 50 Jahren haben die Bundesrepublik und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen.

Das Land der Holocaust-Opfer reichte dem Staat der einstigen Täter die Hand. Wahrlich, ein denkwürdiges Ereignis. Und eines, das in den Medien eine große Rolle spielen wird, Rück- und Vorschau inklusive. Eine gute Gelegenheit also, sich von einigen Klischees und Vorurteilen in der Berichterstattung über den jüdischen Staat endlich zu verabschieden.

Denn Israel hat hierzulande in der Regel nach wie eine ziemlich schlechte Presse. Es vergeht kaum ein Tag, an dem das Land nicht irgendwo als Kriegstreiber gebrandmarkt wird, ihm Nazimethoden unterstellt werden oder es für jedes Übel in der Welt verantwortlich gemacht wird. Oft gehen diese an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe perfiderweise mit einer Delegetimierung und Dämonisierung des “zionistischen Gebildes” einher. Ganz zu schweigen von einem kaum kaschierten Antisemitismus. Der Publizist Henryk M. Broder hat diese Boshaftigkeit mal in einem bitterbösen Satz zusammengefasst: Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.

Ist die schlechte Presse für Israel damit in Stein gemeißelt? Das wäre fatal. Der Medienbetrieb hat es jedoch selbst in der Hand gegenzusteuern. Die kommenden Feiern zum 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen sollten Anlass genug sein, sich Israel unvoreingenommen zu nähern. Womöglich klappt das am besten, wenn man den schier endlosen Konflikt mit dem Palästinensern einfach mal so weit wie möglich ausblendet.

Der jüdische Staat hat zwar eine besondere Geschichte. Das Israel der Gegenwart ist allerdings in vielerlei Hinsicht ein Land wie jedes andere. Die Probleme sind ebenso zahlreich wie die Errungenschaften. Alles ganz normal eben. Es wird Zeit, Leser, Hörer und Zuschauer dies wissen zu lassen. Dabei darf man sehr wohl kritische Töne anschlagen. Aber fair sollte es schon zugehen.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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