Der Tagesspiegel, 16. Juli 2015

"Der Iran ist faktisch Atommacht"

Ein Gespräch mit dem Historiker Michael Wolffsohn über Irans Ambitionen, Deutschlands Staatsräson und Israels Unbeliebtheit.

Herr Wolffsohn, wie ist es nach dem Atomabkommen mit dem Iran um die deutsch-israelischen Beziehungen bestellt?
"Nichts Neues unter der Sonne", hätte der alttestamentliche Prediger Salomonis gesagt. Das heißt seit den frühen 80er Jahren: Auf der Regierungsebene wird eng zusammengearbeitet, auch wenn es manchmal kracht. Und in letzter Zeit kracht es öfter. Auf der gesellschaftlichen Ebene bedeutet das: Für die Mehrheit der Deutschen ist Israel ein Buhmann-Staat. Für die meisten Israelis ist Deutschlands Regierung, erstmals vor den USA, Freund Nummer eins.

Außenminister Steinmeier betont, die Vereinbarung von Wien diene auch der Sicherheit des jüdischen Staates. Trifft das zu?

Das ist zumindest naiv. Der Iran hat Öl, Gas, Sonne, Wasser. Wozu noch Atomkraft? Die Islamische Republik ist durch das Abkommen faktisch Nuklearmacht. Die atomare Fähigkeit des Iran wird durch das Abkommen reduziert und kontrolliert, aber eben nicht liquidiert. Gleiches gilt für Teherans Raketenarsenal.

Und wie passt das zu Merkels Satz, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson?
Die Kanzlerin ging ja im März 2008 noch weiter. Sie sagte, ein Angriff auf Israel gleiche einem Angriff auf Deutschland und damit automatisch auf die Nato. Letzteres sagte Merkel zwar nicht, aber das wäre die Konsequenz. Außer den USA wäre aber kein Nato-Staat in der Lage oder gar willens, für Israel zu kämpfen. Da die Bundeswehr kaum einsatzbereit ist, sind das ohnehin nur Worte.

Wird die Bundesregierung nach der Vereinbarung von Wien eine härtere Gangart gegenüber Jerusalem einlegen?
Mit Sicherheit, aus zwei Gründen: Erstens, weil die Bundesregierung das Atomabkommen für gut und richtig hält. Zweitens, weil jede Partei gewählt werden will. Israel ist unbeliebt und zu israelfreundliche Parteien oder Politiker werden von der Öffentlichkeit eher bestraft als belohnt – also nicht gewählt.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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