Der Tagesspiegel, 16. September 2015

Am Boden

Wer will, dass die Syrer nicht mehr ihr Land verlassen, muss direkt intervenieren - auch mit Soldaten

Lange Zeit war das Thema tabu. Bodentruppen nach Syrien schicken? Bloß nicht! Da ist ohnehin nichts mehr zu machen. Klar, die Bevölkerung leidet. Aber wer vermag zu entscheiden, wo die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft. Baschar al Assad gehört sicherlich zu den Schlimmen, aber diese Aufständischen sind auch nicht koscher. Also lieber raushalten, keine Menschenleben riskieren.

Es liegen ohnehin genug Kilometer zwischen uns und diesem schrecklichen Bürgerkrieg, und der Wähler würde einen solchen Einsatz sowieso nicht mittragen. Diese Haltung ist bei den Entscheidungsträgern in der Politik und den Bürgern immer noch Konsens. Doch langsam scheint eine ernsthafte Debatte darüber zu beginnen, ob man dem Sterben in Syrien nicht doch Einhalt gebieten sollte – notfalls auch mit Soldaten.

Dass das Für und Wider jetzt zumindest andeutungsweise diskutiert wird, ist zum einen dem Vormarsch des „Islamischen Staat“ (IS) geschuldet. Die barbarischen Dschihadisten schlagen weiter fast ungehindert eine Schneise der Gewalt und des Elends durch den Nahen Osten. Und Luftschläge scheinen sie nicht aufhalten zu können.

Zum anderen ist der Krieg in Syrien mittlerweile bis an unsere Grenzen vorgedrungen. Tausende Menschen, geflohen vor Assads Fassbomben wie vor den Kalaschnikows des IS, suchen Schutz in Deutschland. Und man ahnt, dass es noch viel mehr werden, wenn Syrien sich selbst überlassen bleibt. Dort wird sich aber nur etwas ändern, wenn jemand bereit ist, direkt im Bürgerkriegsland zu intervenieren. Sowohl das Regime als auch die Terrormiliz sind nur mit Bodentruppen zu besiegen.

Doch dazu wird es nicht kommen. Zu groß scheint das Risiko, zu gering die Unterstützung. Nicht zuletzt mangelt es an einem Konzept für das Jetzt und das Danach. Soll Assad im Amt bleiben, wenn er hilft, den IS zu besiegen? Mit Blick auf die Toten, für die er die Verantwortung trägt, ein schändlicher Gedanke. Wer könnte ihm also folgen? Das weiß niemand. Also wird alles beim Alten bleiben. Das muss man sich eingestehen. Und sich auf viele Verzweifelte einstellen, die Zutritt begehren.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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