Der Tagesspiegel, 3. August 2016

Ganz normal anders

Michael Brenners Buch über Israel als Staat und Traum

Israel. Allein das Wort reicht aus, um die Gefühlswelt vieler Menschen durcheinander zu bringen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – das kleine Land am Mittelmeer polarisiert auch fast 70 Jahre nach seiner Gründung. Von Normalität im Umgang keine Spur.

Für die einen ist der Judenstaat ein Hort der Demokratie inmitten autoritärer Regime, eine Art zivilisierter Vorposten des Westens im wilden Nahen Osten. Eine tolerante Spaßgesellschaft, die bei auch bei Homosexuellen als Paradies in einer intoleranten Region gilt. Und nicht zuletzt ein hochgradig spiritueller Ort, mit dem religiöse Heilserwartungen jeder Couleur verbunden werden.

Für die anderen ist Israel dagegen Feindbild Nummer eins. Ein Besatzerstaat, der die Palästinenser mit aller Macht unterdrückt. Ein anachronistischer kolonialistischer Aggressor, den es zu bekämpfen gilt. Und viele stellen das „zionistische Gebilde“ als Betriebsunfall der Geschichte ganz offen und prinzipiell infrage, sprechen ihm gar das Existenzrecht ab.

Auch das spiegelt Israels Sonderrolle: Die Aufmerksamkeit für das Mini-Land steht in keinem Verhältnis zu seiner geografischen Größe und seinem politischen Einfluss. „Schlägt man die Zeitung auf oder hört die aktuellen Nachrichten, könnte man meinen, dass Israel neben China, Russland und den USA zu den wichtigsten Staaten der Erde gehört“ – mit diesem Satz beschreibt Michael Brenner treffend die Obsession, sich an Israel abzuarbeiten. Der Befund ist klar: Wenn es um Israels Wahrnehmung geht, gibt es keine Normalität.

Da tut es gut, dass der Historiker Brenner ein nüchtern analytisches und damit unaufgeregtes Buch geschrieben hat. Zumal eines, das nicht den x-ten Versuch unternimmt, den Nahostkonflikt zu lösen. Es geht zwar sehr wohl auch um Autonomiewünsche, Ein- und Zwei-Staaten-Gedankenspiele. Den Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München interessieren jedoch vielmehr die Gründe für die Andersartigkeit Israels. Denn Brenner zufolge prägte der Grundwiderspruch zwischen erhoffter Normalität und gewünschter Einzigartigkeit das Projekt „Jüdischer Staat“ von Anfang an. Und dieser scheint bis heute nicht aufgelöst.

Dieser Grundwiderspruch - von Brenner beginnend mit Theodor Herzl als eine ideengeschichtliche Zeitreise intellektuell anregend beschrieben - findet seine Entsprechung in einer für Juden zentralen Frage: Sind wir ein Volk wie jedes andere? Fest steht. Juden wurden und werden oft als „das Andere“ wahrgenommen. Daraus resultierten antisemitische Vorbehalte, Vorurteile und Verfolgung – bis hin zum Völkermord. Diese Sonderrolle findet auch in der Geschichte Israels ihren Niederschlag. Denn die Gründung des Judenstaats entspringt laut Brenner nicht nur dem Wunsch, so zu sein wie die anderen, „sondern ist gleichzeitig aus der Idee heraus geboren, anders zu sein und ein Vorbild für den Rest der Welt darzustellen“. Dieses Spannungsverhältnis hat nicht nur den Zionismus geprägt, sondern auch die oft heftigen Debatten über den Charakter Israels als Staat.

Und heute? Israel ist alles andere als eine homogene Gesellschaft. Eher wirkt sie wie Brenner treffend bemerkt zunehmend fragmentiert – „in religiös-orthodoxe und radial-säkulare Territorien“. Dieser Graben werde tiefer, der gemeinsame Boden zwischen beiden Blöcken drohe sogar vollends verloren zu gehen. Was jedoch nichts daran ändert, dass Israel für sehr viele Menschen in der Welt etwas Besonderes ist und bleibt: „eine Projektionsfläche ihrer Ängste, Hoffnungen und Wünsche“.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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