Der Tagesspiegel, 27. Dezember 2016

Israel fühlt sich verraten – vom Verbündeten

Obama hat durch den Verzicht auf ein Veto mit der Tradition gebrochen. Nun setzt Netanjahu auf den künftigen US-Präsidenten.

Für viele Israelis ist die Sache klar. Die Resolution des UN-Sicherheitsrats, in der die Siedlungspolitik verurteilt wird, gleicht einem Affront. Von einem schändlichen Schlag ist seit Tagen die Rede, sogar von Verrat. Der jüdische Staat fühlt sich im Stich gelassen. Gemeint sind damit weniger die Vereinten Nationen. Die Organisation besitzt ohnehin einen ziemlich schlechten Ruf und gilt mit gutem Grund als israelfeindlich. Der Zorn richtet sich vielmehr gegen die USA, den wichtigsten Verbündeten.

Bisher war immer darauf Verlass, dass die Supermacht für Israel Partei ergreift und das mit ihrem Veto deutlich macht. Nun hat Barack Obama diese eherne Gewissheit zerstört. Die Enthaltung Amerikas im Sicherheitsrat ist nach Lesart der Regierenden in Jerusalem der größte anzunehmende Störfall. Zu Recht. Dass der scheidende US-Präsident seinen Intimfeind Benjamin Netanjahu noch einmal auf diplomatischer Bühne vorführt, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.

Die entscheidende Botschaft ist eine andere: Israel ist politisch isoliert wie selten zuvor. Sogar die USA wenden sich fatalerweise ab. Die Feinde des jüdischen Staats dürften dies mit großer Genugtuung zur Kenntnis nehmen. In Israel wiederum werden jene Kräfte gestärkt, die predigen, das Land könne sich nur auf sich selbst verlassen. Beides macht die Unruhe-Region Nahost nicht sicherer. Großes Geschick hat Obama jedenfalls nicht an den Tag gelegt. Wie so oft während seiner Amtszeit.

Gleiches gilt für Netanjahu. Er zürnt – und alle sollen das zu spüren bekommen. Doch jene Staaten, die die Resolution mitgetragen haben, an den Pranger zu stellen, ist das Gegenteil von hilfreich. Viele halten den israelischen Premier vor allem in Sachen jüdische Siedlungen für beratungsresistent und hartleibig. Und werden sich nun wieder einmal bestätigt fühlen. Dabei ist der geächtete und als illegal geltende Wohnungsbau in den besetzten Gebieten auch in Israel höchst umstritten.

Wollte Netanjahu die Welt und seine vielen Kritiker wirklich beeindrucken, würde er zumindest einen Stopp des Siedlungsbaus verfügen. Das könnte er dann bei Verhandlungen mit den Palästinensern in die Waagschale werfen. Wenn er denn wollte. Doch dazu wird es vorerst nicht kommen. Weil der Regierungschef – in ein Koalitionskorsett mit den Nationalreligiösen gezwängt – innenpolitisch kaum freie Hand hat. Und weil Netanjahu außenpolitisch fest mit baldiger Unterstützung für seinen Kurs rechnet: von den USA und ihrem künftigen Präsidenten. Donald Trump soll es richten.

Diese Hoffnung kommt nicht von ungefähr. Kurz nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats twitterte der Republikaner „Bezüglich der UN: Nach dem 20. Januar wird es anders sein.“ Im Klartext heißt das, mit Beginn seiner Amtszeit werden die USA wieder konsequent von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. Also an Israels Seite stehen.

Für Netanjahu ist das eine mehr als tröstliche Nachricht. Denn sie passt zu dem, was Trump mit seinen Äußerungen und ersten Personalentscheidungen signalisiert hat: Er wird der rechtsgerichteten Regierung des jüdischen Staats weitgehend freie Hand lassen. Nicht zuletzt bei der heiklen Siedlungspolitik.

Schon gleich nach Trumps Wahlsieg frohlockten denn auch Israels Hardliner, sie wüssten jetzt einen echten Freund an ihrer Seite. Die Zwei-Staaten-Lösung sei endgültig vom Tisch. Und danach sieht es derzeit aus. Für die Suche nach Frieden verheißt das nichts Gutes.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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