Starke Meinungen, 27. Januar 2012

Über den linken Kamm geschoren

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit: Gysi und Co. werden vom Verfassungsschutz beobachtet

Für Gregor Gysi ist die Sache ganz einfach. Dass der Verfassungsschutz 27 von 76 Bundestagsabgeordneten der Linken – darunter fast die komplette Führungsriege – beobachten lässt, sei „ballaballa“, meint der Fraktionschef. Die Behörde habe schlicht eine Meise.

Auch für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gibt es keinen Grund zu zweifeln. Der Verfassungsschutz komme nur seinem gesetzlichen Auftrag nach, wie der CSU-Politiker betont. Schließlich existierten „erhebliche Hinweise“, dass die Linke verfassungsfeindliche Tendenzen habe. So weit, so schlüssig.

Das Problem ist nur: Bei den unter Beobachtung stehenden Damen und Herren Volksvertreter handelt es sich mehrheitlich nicht um Politiker, die für radikale oder gar extremistische Positionen bekannt sind. Vielmehr sind neben Gysi ostdeutsche Reformer und Realos wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, Fraktionsvize Dietmar Barsch und Parteivizechefin Katja Kipping im Visier des Kölner Amtes. So drängt sich der Verdacht auf, die betroffenen Abgeordneten werden einfach mal so über einen links-fundamentalistischen Kamm geschoren.

Mehr noch. Inzwischen erhärten sich die Hinweise, dass nicht nur „beobachtet“, sondern auch gezielt „überwacht“ wird. Im Klartext heißt das: Der Verfassungsschutz sammelt zum einen öffentlich zugängliches Material, aber zum anderen werden die Links-Politiker auch „nachrichtendienstlich“ bearbeitet. Dazu gehört zum Beispiel der Einsatz von V-Leuten. Da muss dann schon die dringende Frage nach Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit gestellt werden. Und sie beantwortet sich fast von selbst: übers Ziel hinausgeschossen.

Nun ist diese Feststellung jedoch kein Alibi für die Linkspartei, sich in Gänze als verfolgte Unschuld zu gerieren und selbstgefällig von „Generalverdacht“ zu schwadronieren. Denn ohne Zweifel gibt es Mitglieder und Strömungen – sei es im Marxistischen Forum, bei der Kommunistischen Plattform oder in anderen radikalen Gruppierungen –, die der hiesigen freiheitlich demokratischen Grundordnung, der sozialen Marktwirtschaft, dem Parlamentarismus und vielen staatlichen Institutionen kämpferisch ablehnend bis militant feindlich gegenüberstehen. Und diese Kreise sinnieren schon gerne mal, Hammer und Sichel fest in der revolutionären Hand haltend, über eine neue Gesellschaftsordnung. Ganz klar, ein Fall für den Verfassungsschutz.

Aber Gysi, Pau und die anderen gemäßigten Genossen sind nun mal, nach allem, was über sie bekannt ist, weder dumpfbackige kommunistische Klassenkämpfer noch kriegerische Umstürzler. Im Gegenteil, es handelt sich um frei gewählte Parlamentarier einer zugelassenen Partei. Wer sie ohne triftigen Grund unter Beobachtung des Staates stellt, sie womöglich sogar mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht, der betreibt politische Panikmache, die demokratische Prinzipien zumindest infrage stellt.

Dafür hat man den Verfassungsschutz nicht geschaffen. Er soll Informationen sammeln über Bestrebungen, die nachweislich gegen unsere Grundordnung gerichtet sind. Daran muss sich die Behörde halten. Sonst verliert sie Wesentliches – zum Beispiel rechtsterroristische Strukturen im Stile des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ aus den Augen. Das wäre nicht nur ballaballa, sondern vor allem brandgefährlich.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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