Starke Meinungen, 19. März 2012

Gabriels Granate

Ziemlich apart: Wie der SPD-Chef Nahostpolitik macht und sich damit selbst schadet

Kann Sigmar Gabriel Kandidat oder gar Kanzler? Es gibt eine ganze Menge Genossen in seiner eigenen Partei, die das bezweifeln. Sie halten ihn für zu ungestüm, zu hitzköpfig und unüberlegt aufbrausend. Ein Polterer, der oftmals schneller redet alt denkt. Ein Polarisierer, der gerne auf den Knalleffekt setzt. Diese Kritiker werden sich derzeit wieder einmal bestätigt fühlen. Denn der SPD-Chef hat es vor einigen Tagen quasi im Vorbeigehen kräftig krachen lassen. Von einer „diplomatischen Granate“ ist inzwischen die Rede. Und deren Detonation hat auch Gabriel in Mitleidenschaft gezogen.

Drei auf Facebook gepostete Sätze reichten dafür aus: „Ich war gerade in Hebron“, schrieb der Obersozi am Mittwoch so gegen 14.30 Uhr. „Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Eine simple Gleichung, die beim allseits beliebten Bashing des jüdischen Staates immer gut ankommt: Israel = Rassismus = Unterdrückung = Nazimethoden. Prompt fand Gabriels Eintrag ins digitale Tagebuch ein hohes Maß an Zustimmung. „Endlich ein Spitzenpolitiker, der mal die Wahrheit ausspricht“, kommentierte ein Leser. Also rasch auf den Button „Gefällt mir“ geklickt.

Doch erfreulicherweise gab es auch eine ziemlich große Zahl von Menschen, denen die drei Sätze gänzlich missfielen. Sie waren entsetzt, empört und erschrocken. Und das bekam Gabriel per Kommentarfunktion umgehend zu spüren. So einfach wollten die Israel-Sympathisanten den SPD-Vorsitzenden, die Populismus-Keule schwingend, nicht davon kommen lassen.

Dann passierte das, was immer passiert, wenn es um Juden und Jerusalem geht: Der Angeklagte ruderte kräftig zurück. Alles ein großes Missverständnis, er sei ohne Zweifel ein Freund Israels, ließ Gabriel wissen. Aber als ebensolcher Freund müsse man doch mal auch die Wahrheit sagen dürfen. Die Siedlungspolitik sei nun mal falsch und die Verhältnisse unwürdig. Der gängige Entlastungsangriff, die üblichen Entschuldigungs-Floskeln. Alles wie gehabt und ziemlich billig.

Aber es kam noch peinlicher. Gabriel begab sich auf die Suche nach umfassender Entlastung. Und an wen wendet man sich hierzulande, wenn es um einen Koscher-Stempel in Sachen Israel geht? Richtig, an jüdische Spitzenfunktionäre. Sind ja auch irgendwie Israelis, oder? Also rasch mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden telefoniert und ein baldiges Treffen ausgemacht. Wäre doch gelacht, wenn es dort nicht die erforderliche höchstmögliche Absolution gäbe. Dann, in ein paar Wochen, ist dieser vermaledeite Apartheid-Vergleich bestimmt wieder vergessen. War ja eh nicht so gemeint.

Und sollte Gabriel bald wieder mal im Eifer des Nahost-Gefechts beim Posten auf Facebook über das Ziel hinausschießen – kein Problem: einfach zurückrudern, sich mit ein paar Floskeln selbst freisprechen und vorsichtshalber bei einigen bekannten Juden rückversichern. Man ist ja unter Freunden.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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