Kunst und Film, 30. März 2012

Friede, Freude, Dosenbier

Die pointierte Anekdoten-Sammlung im Bestseller von Wladimir Kaminers verfilmt Oliver Ziegenbalg als zusammengebastelte Kalauer-Komödie samt russischem Herzschmerz

Es war einmal ... Mit diesen drei einfachen Worten beginnen in der Regel die Märchen dieser Welt. Es sind zumeist Erzählungen, die von der mühsamen Suche nach Glück und Liebe handeln, Happy End inklusive. Auch die wundersame Geschichte von Wladimir, Andrej und Mischa hat einen märchenhaften Anstrich: Drei angehende Männer verlassen ihre trostlose Sowjet-Heimat, um in einer unbekannten Welt ein neues, möglichst sorgenfreies Leben zu beginnen. „Ihr seid jung, ihr seid nichts“, geben Wladimirs Eltern den drei Unbedarften als Aufmunterung mit auf den Weg – von Moskau nach Marzahn. Willkommen in der sich auflösenden DDR! Willkommen im Deutschland des Epochenjahres 1990! Willkommen in der wahnwitzigen Wendezeit! Willkommen in der Russendisko!

Wie war das überhaupt damals, vor 22 Jahren in dieser von einer Mauer durchzogenen einstigen Frontstadt namens Berlin? Für russische Immigranten offenbar ein kleines Stückchen Himmel auf kapitalistischen Erden. „Wir schienen im Paradies angekommen zu sein. Fünf Monate nach dem Mauerfall hatten die Deutschen noch nicht mit dem Feiern aufgehört.“ So schildert der Autor Wladimir Kaminer seine Ankunft mit den beiden Kumpels am Ostbahnhof. In Oliver Ziegenbalgs Verfilmung des Bestseller „Russendisko“ geht es auch gleich ziemlich fröhlich los. Überall wehen Deutschland-Fahnen. Alles Mürrische scheint verschwunden. Mauerspechte klopfen, was das Zeug hält. Das Dosenbier fließt hektoliterweise, eine Wahnsinnsstimmung – weil die Nationalkicker sich gerade anschicken, den WM-Titel zu erringen.

Was dann auf Kinofilmlänge folgt, lässt sich kurz zusammenfassen: viel Wodka, noch mehr Bier, die sommerleichte Suche nach einer schönen Zukunft, ein bisschen Musik und die ganz große Liebe. Aus den kurzen, anekdotenhaften Erzählungen in Kaminers Buch wird auf der Leinwand eine durchgehende Geschichte.

Dabei bleibt nicht nur der Humor weitgehend auf der Strecke (von ein paar Kalauern einmal abgesehen), sondern auch das Subtile, Pointierte und subversiv Kuriose, das die literarische Vorlage auszeichnet. Hier ein paar Vietnamesen, die mit Zigaretten handeln, dort ein Asylbewerberheim für Albaner, Afrikaner und die vielen anderen Glückssucher aus aller Welt. Mal gibt’s die Off-Theaterszene zu bestaunen, mal einen kauzigen Rabbiner. Von allem ein bisschen, aber nichts Ganzes. Alles wirkt irgendwie zusammengebastelt.

Um das nicht zu deutlich werden zu lassen, erzählt „Russendisko“ in erster Linie die Liebesgeschichte zwischen der Tänzerin Olga (erfrischend: Peri Baumeister) und Wladimir (routiniert und frei von jedem russischen Akzent: Matthias Schweighöfer). Das neue Leben der Moskauer Freunde spielt schon nach einer Viertelstunde kaum mehr als eine untergeordnete Rolle, ist Staffage für ein Pärchen, das sich finden muss – Herzschmerz inklusive. Dennoch geben sich Friedrich Mücke (Mischa) und Christian Friedel (Andrej) viel Mühe, um ihren schauspielerischen Aufgaben gerecht zu werden. Was allerdings unter den Auflagen des Drehbuchs und der Regie keine ernsthafte Herausforderung darstellt.

Am Ende ist natürlich alles gut. Wie es sich für ein Märchen gehört. Jeder hat sein kleines Glück gefunden – Andrej als kapitalistisch gesinnter Russlandheimkehrer, Wladimir und Mischa (der im wahren Leben Yuriy Gurzhy heißt) als Musiker in Berlin. Dort legt Kaminer im von ihm gegründeten, legendären „Kaffee Burger“ alte sowjetische Platten auf. Und alle tanzen traulich vereint in die Nacht hinein. „Super Good“ heißt das passgenaue Lied. Friede, Freude, Dosenbier und ein neues Zuhause. Na dann, sa sdrowje, auf die Gesundheit. Und die einzig wahre Russendisko.


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Dr. Christian Böhme
Journalist

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