Jungle World, 25. Mai 2012

Director's Cut

Böhmische Dörfer (6): Horst Seehofer im O-Ton wäre in gedruckter Form undenkbar. Denn hierzulande herrscht bei Interviews Autorisierungswahn

Dieser Satz wird wohl in die Geschichte eingehen. „Sie können das alles senden“, ließ der verschmitzt lächelnde Horst Seehofer den verdutzten „heute journal“-Moderator Claus  Kleber wissen. Mit „das alles“ meinte Bayerns Ministerpräsident seinen Frontalangriff auf Norbert Röttgen, den er nach dem Wahldesaster in NRW so richtig abwatschte. Doch das geschah nicht etwa während des offiziellen Interviews. Da gab es nur den üblichen Politiker-Sprech zu hören: Er wolle keinen Ärger, betonte der CSU-Chef, sondern den Erfolg der Koalition. Doch einiges müsse sich ändern – sprachliche Nebelkerzen hier, inhaltlich Weichgespültes dort.

Dann, fünf Minuten später, das Nachgespräch. Von dem bekommt der Zuschauer normalerweise nichts mit. Und Seehofer zog vor immer noch laufender Kamera richtig vom Leder. Echter O-Ton mit Schmackes und wahrhaftig wirkender Erregung. Einschließlich des Hinweises: „Senden Sie’s.“ Ein Scoop für das ZDF. Vor allem einer, der Printjournalisten wehmütig stimmt und neidisch macht. Weil ein derartiger Knüller bei Gedrucktem überhaupt nicht denkbar wäre. Denn in Deutschland herrscht bei Wortlautinterviews seit Jahrzehnten ein alltäglicher Autorisierungswahn.

Das ist die gängige Vorgehensweise: Man trifft sich mit Politiker A, Schauspieler B oder Sportler C zu einem Gespräch. Anschließend wird das Gesagte in eine lesbare Form gebracht und dem Interviewten vorgelegt. Der soll den Text autorisieren, also die vorliegende Form „absegnen“. Und das heißt in der Regel, statt lediglich die sachliche Richtigkeit des Inhalts zu überprüfen, wird geglättet und geändert, gestrichen und geschönt. Authentizität? Gott bewahre!

Am Ende sitzt der Journalist kopfschüttelnd vor seinem Werk, das er nicht mehr wiedererkennt. Die Begründung der Gesprächspartner für diesen sinnentstellenden Unfug: Er habe das zwar gesagt, wolle es aber so nicht gedruckt sehen. Inzwischen versuchen Pressestellen und PR-Agenturen sogar, auf Fragen Einfluss zu nehmen oder verlangen, dass nur bestimmte Fotos verwendet werden. Im Grunde bedeutet diese Praxis nichts anderes als einen eklatanten Eingriff in die Pressefreiheit. Man kann es auch Zensur nennen.

Dabei gibt es keinerlei Verpflichtung, ein Interview vor dem Abdruck autorisieren zu lassen. Laut Richtlinie des Deutschen Presserates ist eine Genehmigung nicht zwingend erforderlich, wenn das Gesagte korrekt wiedergegeben wird. Nur: Solange alle Redaktionen den Unsinn des Autorisierens mitmachen, werden uns die großen Streichkonzerte wohl erhalten bleiben.

Ach, hätten wir doch angelsächsische Verhältnisse. Dort ist das nachträgliche Absegnen eines Gesprächs gänzlich unüblich, ja verpönt. Es gilt immer das gesprochene Wort. Auch US-Außenminister Henry Kissinger wusste das. Schreiben Sie, was Sie wollen, erklärte er einmal einem Journalisten. Aber buchstabieren Sie meinen Namen korrekt. Danke, Mr. Kissinger, versprochen.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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