Starke Meinungen, 25. Juni 2012

Alle Macht geht vom Militär aus

Ägypten hat einen islamistischen Präsidenten. Doch der besitzt keinen Einfluss - weil die Generäle weiterhin das Sagen haben

Es ist vollbracht. Ägypten hat einen neuen Präsidenten. Endlich ein Schritt in Richtung Demokratie, endlich ein Signal der Freiheit. Das Volk hat sich für einen Muslimbruder und gegen den Repräsentanten des untergegangenen Mubarak-Regimes entschieden, auch wenn das Ergebnis sehr knapp ausgefallen ist. Und der Oberste Militärrat lässt den Islamisten Mohamed Mursi gewähren. So scheint es.

Doch der Schein trügt. Die Armee ist offenkundig nicht gewillt, auf ihre Macht zu verzichten. Unlängst löste die Junta das Parlament auf, sicherte sich das Recht, Zivilisten zu verhaften. Sogar Gesetze können die führenden Generäle erlassen. Alle Macht geht von den Soldaten aus - echte Demokratie sieht anders aus. Um Ägyptens Zukunft ist es derzeit schlecht bestellt. Vielleicht sogar schlechter denn je.

Dabei begann der politische Frühling des Landes doch so verheißungsvoll. Vor gut einem Jahr gelang es den Menschen, den Despoten Mubarak aus dem Präsidentenamt zu jagen. Auf dem Tahrir-Platz wurde arabische Geschichte geschrieben, wenn nicht sogar Weltgeschichte. Es herrschte Aufbruchstimmung. Zu Recht stolz auf ihren Mut, berauschten sich viele Bürger an der Aussicht, endlich selbstbestimmt und in stabilen Verhältnissen leben zu können. Die besseren Zeiten, sie waren greifbar nahe.

Und nun, nur wenige Monate nach dem erfolgreichen Aufstand? Die meisten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Das Land wirkt wie erstarrt. Die alten Eliten halten die Zügel weiterhin fest in der Hand. Auch die Erfolge der Muslimbrüder ändern daran wenig. Denn die Islamisten haben bislang keinen ernsthaften Versuch unternommen, das seit Jahrzehnten herrschende System aus Manipulation, autoritärem Gehabe und Korruption aufzubrechen. Sie reichern es vielmehr zusätzlich mit religiösem Fundamentalismus an. Liberale, säkular Gesinnte oder Christen schreckt das verständlicherweise ab.

Doch auf einem Fundament des Misstrauens und der Furcht ist kein Staat zu machen. Das gilt auch für den neuen Präsidenten. Der ist zum einen strammer Parteisoldat und dürfte daher als dringend benötigter Integrator kaum infrage kommen. Zum anderen wird es Mursi kaum wagen, die Militärs zu brüskieren. Und wenn doch, dann werden sie dem frommen Mann rasch seine Grenzen aufzeigen. Zwar ist der Muslim als Staatschef formell der mächtigste Mann im Land, de facto jedoch ein weitgehend Machtloser.

Seinen mangelnden Einfluss versucht Mursi, der als strammer Antizionist gilt, allerdings zu kompensieren, indem er sich beispielsweise einen gefährlichen Verbündeten sucht: den Iran. Der Islamist strebt nach eigenem Bekunden eine strategische Partnerschaft mit den Mullahs an. Das bedeutet nicht nur für Israel eine Bedrohung, auch uns im Westen sollte ein derartiges Bündnis Kopfzerbrechen bereiten. Denn Teherans Einfluss in der Pulverfass-Region wächst damit erneut. Auch den besonnenen Kräften in Ägypten kann an dieser Entwicklung nicht gelegen sein. Das Land braucht dringend innere Stabilität, aber sicherlich keine unkalkulierbaren außenpolitischen Abenteuer.

Wird es dem Land am Nil gelingen, in absehbarer Zeit geordnete Verhältnisse zu schaffen? Werden die Generäle bereit sein, ihre Macht an zivile, demokratische Kräfte abzugeben? Kommt Ägypten endlich zur Ruhe? Oder droht der Staat zu zerbrechen? Keiner weiß gegenwärtig auf diese Fragen schlüssige Antworten zu geben. Nur eines darf als sicher gelten: Ihren arabischen Frühling haben sich die Menschen anders vorgestellt.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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