The European, 7. August 2012

Piratendämmerung

Die neue Partei hat viel für den Politik-Betrieb getan - doch jetzt muss sie liefern statt Skandälchen zu produzieren

Selbst schuld. Hätten sich ja nicht Piraten nennen müssen, die Piraten. Nun muss die Partei damit leben, dass Journalisten und politische Beobachter keine Gelegenheit auslassen, sich den Newcomern mithilfe von – mal mehr, mal weniger gelungenen – Sprachbildern zu nähern. Noch vor zwei, drei Monaten dürfte das aus Sicht der Betroffenen kein Problem gewesen sein. Im Gegenteil. Alle interessierte alles, weil das Neue so nett charmant, unorthodox, erfrischend anders und unverbraucht wirkte. Also wurden die Frischlinge im Politikbetrieb mit viel verbalem Wohlwollen empfangen.

Da war von längst überfälligem Entern des Establishments und wählerfreundlichen Beutezügen an den Küsten des Parteienspektrums die Rede. Oder man lobte die Freibeuter für erfolgreiche Kaperfahrten in sowohl schwarzen als auch grünen und roten Gewässern. Eine schöne Zeit. Doch die ist offenkundig vorbei. Die Piraten haben inzwischen mit der rauen See des Alltags schwer zu kämpfen.

Das wirkt sich auch auf die Wortwahl bei der Berichterstattung aus. Nun heißt es zum Beispiel, den Orangefarbenen fehle ein klarer Kurs, die Offiziere seien ihrer Aufgabe nicht gewachsen, die Mannschaft meutere immer häufiger, und keiner sei bereit, mit den anderen an Bord die inzwischen angehäuften Schätze zu teilen. Der ganzen Flotte drohe Schiffbruch. Ja, Pirat zu sein, ist derzeit wahrlich kein Vergnügen.

Das haben sich die vielen Herren und wenigen Damen allerdings selbst eingebrockt. Man hat blauäugig naiv Kraft und Eigendynamik des hierzulande herrschenden politischen Systems fahrlässig ignoriert. Zum Beispiel, wenn es um die Finanzen geht. Jedem, der halbwegs bei Verstand ist, hätte klar sein müssen, dass Piraterie auf Landes- und Bundesebene etwas kostet. Nun ist das Gejaule groß. Denn statt über Inhalte wird über Profanes wie Geld und Geiz gestritten. Willkommen im wahren Leben!

Weil die Partei als solche klamm ist, braucht sie jeden Euro. Doch sowohl Abgeordnete als auch Mitglieder zeigen in geradezu anarchistischer Manier wenig Interesse, die monetären Grundlagen des ganzen Unternehmens zu sichern. So sah sich Oberpirat Bernd Schlömer erst vor einigen Tagen dazu genötigt, seiner Crew mit Mahnbescheiden zu drohen. Säumige Mitglieder sollten endlich den fälligen Jahresbeitrag in Höhe von 48 Euro zahlen, sonst sei der Bundestagswahlkampf 2013 nicht zu finanzieren. Zudem appellierte der Bundeschef an die 45 Landtagsabgeordneten, sie mögen einen Teil ihrer Diäten der Partei spenden. Doch die denken mehrheitlich überhaupt nicht daran, von ihren Einnahmen etwas abzugeben. Willkommen in den profanen Niederungen der Ebene!

Nun ist die Sache mit dem Geld beileibe nicht das einzige Thema, das für negative Schlagzeilen sorgt. Mal gibt es Sexismus- und Mobbing-Vorwürfe, mal Abstimmungspannen. Dann strafen die Piraten ihren eigenen Anspruch auf Transparenz mit Missachtung und schränken die Pressefreiheit ein wenig ein. Oder einer aus der Führungsriege äußert Sympathie für rechtes Gedankengut. Kein Wunder, dass sich bei so vielen Unstimmigkeiten der Wähler verstört abwendet: Lagen die Piraten im April in der Sonntagsfrage noch bei zwölf Prozent, schaffen die Aufsteiger aktuell „nur“ sieben bis neun Prozent.

Es scheint, als hätten die Freibeuter ihren Nimbus des Abenteuerlichen verloren. Als seien sie an Land gegangen und ein Teil des Systems geworden, das sie immer bekämpfen wollten. Schon nach kurzer Zeit bilden sie also eine Riege mit Grünen, Linken, Liberalen, Sozialdemokraten und Unionisten, plagen sich mit den gleichen Problemen herum. Willkommen im politischen Betrieb dieser Republik!

Man mag bedauern, dass es so schnell so weit mit der Entzauberung gekommen ist. Doch die Piraten deshalb zu verdammen oder sie gar abzuschreiben, wäre gleichermaßen ungerecht wie verfrüht. Die Partei steckt noch in den Kinderschuhen. Und das Erwachsenwerden bleibt nun mal ein ziemlich mühsames Geschäft. Da muss viel Lehrgeld gezahlt werden, bis zum Beispiel ein vernünftiges Verhältnis zwischen Basisdemokratie und Eigenverantwortung eines Abgeordneten gefunden ist. Es kostet auch Zeit, den Anspruch auf größtmögliche Transparenz mit den komplexen Erfordernissen eines Staatswesens in Einklang zu bringen. Spaß machen derartige Lern- und Professionalisierungsprozesse sicherlich nicht. Aber sie sind unabdingbar, um am Ende womöglich ein gewichtiges Wort mitreden zu können. Und das ist den Piraten trotz aller Pannen und Pleiten zu wünschen – vor allem im Interesse des Bürgers.

Denn der Schwung, den die Neuen in die Parlamente gebracht haben, tut dem gesamten Politik-Geschäft gut. Den Freibeutern ist nämlich etwas ganz Besonderes gelungen: die Menschen (vor allem junge) für Demokratie und deren inhaltliche Ausgestaltung zu interessieren. Freiheit, Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit im digitalen Zeitalter – diese Themen treiben viele Bürger um. Und treiben sie an, sich zu engagieren. Die Piraten haben dieses Potenzial erkannt und genutzt. Profitieren könnten jetzt alle davon, Wähler wie Gewählte.

Das muss nicht zwingend auf Kosten der neuen Partei gehen, auch wenn die Etablierten nichts unversucht lassen werden, um den Piraten ihre Erfolge streitig zu machen. Doch letztendlich entscheiden allein sie über ihr Schicksal. Sie brauchen lediglich ihre Alltagstauglichkeit unter Beweis stellen, also zeigen, dass den anderen Parteien – unter Achtung der geltenden Spielregeln – vor allem inhaltlich Paroli geboten werden kann. Das muss jedoch sehr rasch passieren. Anderenfalls gehören die Piraten schon bald der Vergangenheit an. Und dann wird es zu Recht heißen: Selbst schuld.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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