Jungle World, 23. August 2012

Abgehoben

Böhmische Dörfer (11): Warum die Medien-Häme über die verpatzte Flughafeneröffnung in Berlin überzogen ist

In Berlin dauert es manchmal nur ein paar Tage, bis aus einem peinlichen Debakel ein oberpeinliches Desaster geworden ist. Das Dauer-Scheitern des Prestigeprojekts namens Großflughafen bietet dafür ein anschauliches Beispiel. Denn er lässt – trotz zahlreicher vollmundiger Ankündigungen in der jüngeren Vergangenheit – weiterhin auf sich warten.

Vermutlich werden noch viele Monate ins Land ziehen, bis der Airport BER endlich seinen Betrieb aufnehmen kann, von den zusätzlichen Milliarden ganz zu schweigen. Pleiten, Pech und Pannen, wohin man schaut. Und, logo, die dafür Verantwortlichen – vom brandenburgischen Ministerpräsidenten über Berlins Regierenden Bürgermeister bis hin zu Geschäftsführern und Bauleitern vor Ort –, die entweder keine Ahnung und keinen Bock haben oder hoffnungslos überfordert sind. Mit anderen Worten: Es herrscht Chaos à la Berlin.

Das wiederum ist ein gefundenes Fressen für die Öffentlichkeit – vor allem für uns Medienmacher. Mit wahrem Furor und geifernder Häme betreiben Journalisten landauf, landab derzeit ein regelrechtes Berlin-Bashing. Schließlich wissen die Profis in den Redaktionen ja immer alles besser und stets weit im Voraus. Zum Beispiel, dass dieser Subventionsmoloch Hauptstadt, diese Vetternwirtschaft nichts Vernünftiges zustande bringen kann, schon gar keinen europatauglichen Flughafen. Alles Luschen und Größenwahnsinnige. Auf sie mit Gebrüll!

Kein Zweifel, die journalistisch geschulten Dauernörgler machen mittlerweile auf Dauerpöbler. Die Medienzunft muss sich daher fragen lassen: Geht’s vielleicht auch eine Mecker-Nummer kleiner? Klar, es ist kein Ruhmesblatt für die Beteiligten, dass Berlin und Brandenburg in Sachen Flughafen weiter in der Warteschleife hängen. Ein Imageschaden, sicherlich. Auch dass die Geschäftsleute, die mit der rechtzeitigen Eröffnung von BER gerechnet haben, nun um ihre Existenz bangen müssen, ist ein Grund zur Klage.

Aber darüber hinaus? Mit Verlaub, selbst in Berlin und Umgebung geht nicht gleich die Welt unter, weil der Starttermin für einen Flughafen verschoben werden muss. Im Grunde funktioniert doch alles recht gut. In Tegel meistern die Mitarbeiter die Herausforderung immens gestiegener Passagierzahlen vorbildlich. Über Urlauber oder Dienstreisende, die unverrichteter Dinge die Abfertigungsschalter wieder verlassen mussten, ist nichts bekannt. Der Schaden, den ein fehlender Großflughafen angerichtet hat, hält sich also in Grenzen.

Vielleicht empfiehlt es sich deshalb für Medienmacher und -verantwortliche, mal einen Gang zurückzuschalten. Gerade weil es so naheliegend, so einfach, so billig ist, sich über anderer Leute Unvermögen lustig zu machen. Das verspricht zwar eine Menge Spaß. Aber sogar Schadenfreude wird irgendwann mal langweilig.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

Telefon: +49(0)176.32 73 83 34

kontakt@christianboehme.info