Jungle World, 12. Oktober 2012

In eine Richtung

Böhmische Dörfer (13): Apropos "Schmähvideo": Nachrichtenjournalismus transporttiert zu oft Meinung

Guter Journalismus braucht Regeln. Einen dieser Grundsätze hat Tagesthemen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs einmal treffend so formuliert: Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit ­einer guten Sache. Klar, es gibt immer wieder wohlbegründete Ausnahmen. Aber die ändern wenig an der prinzipiellen Richtigkeit dieser Aussage. Wer sich von Berufs wegen einem Objekt nähert, muss zu ihm Distanz wahren, sollte um Neutralität zumindest bemüht sein, möglichst jede Voreingenommenheit vermeiden.

Besonders gefordert sind in dieser Hinsicht die Nachrichtenagenturen wie die Deutsche Presse-Agentur, Agence France-Presse oder Reuters. Als Dienstleister haben sie es sich zum Ziel gesetzt, in Höchstgeschwindigkeit gleichermaßen faktenreich wie unparteiisch über das Weltgeschehen zu berichten, für die anderen Medien den Rohstoff Information zu liefern. Kein Wunder, dass da auch einmal etwas schiefgeht, sprich: dass Information und Meinung sich schon mal vermischen.

Zum Beispiel war während der jüngsten Unruhen in der muslimischen Welt, ausgelöst durch einen Film, der den Propheten Mohammed herabwürdigend als sexgeilen Lüstling und Kinderschänder darstellt, das Wertende auffallend allgegenwärtig. Ein Wort ging im Handumdrehen in den allgemeinen Sprachgebrauch ein: »Schmäh­video«. Ein handlicher Begriff, sicherlich. Aber auch einer, der bereits eine Botschaft transportiert, also mit einer neutralen Formulierung wenig gemein hat.

Nun ist das mit der Sprache so eine Sache. Denn zweifellos verändert und entwickelt sie sich. Manch eine Formulierung, die noch vor zehn Jahren gebräuchlich war, wirkt heutzutage antiquiert und verstaubt. Darauf müssen auch Nachrichtenagenturen reagieren. So behaupten die Berichterstatter freimütig, dass ihre Sprache hintergründiger, analytischer und »griffiger« geworden sei, nicht zuletzt, weil die Kundschaft dies einfordere. Da kann schon mal die Distanz abhandenkommen. Schließlich ist es eine hohe Kunst, einerseits korrekt und andererseits interessant zu formulieren. Dem Leser, dem Zuschauer und Zuhörer soll ja ein schneller Zugang zum Thema ermöglicht werden.

Eine derartige Herangehensweise ist aus Sicht der Nachrichtenagenturen nachvollziehbar. Gleichwohl bereitet diese Entwicklung Unbehagen. Denn Sprache schafft Fakten. Und das Wort »Schmähvideo« leistet nun mal – ob bewusst oder unbewusst – einer Form von Voreingenommenheit Vorschub. Doch genau das soll eine neutral geschriebene Meldung eigentlich verhindern. Die Wertung ist Sache der Kommentatoren – und natürlich der Leser. Deshalb gibt es Regeln: Mach dich nicht mit einer Sache gemein. Auch wenn es verlocken mag.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

Telefon: +49(0)176.32 73 83 34

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