Starke Meinungen, 14. Februar 2013

Weltlicher Seelsorger gesucht!

Der Rücktritt Benedikts vom Papstamt ist eine große Chance für die katholische Kirche - die sie nicht nutzen wird

Ach herrje! Nur noch wenige Tage. Dann heißt es: Wir waren Papst. Vorbei die schöne, historisch betrachtet allerdings leider ziemlich kurze Zeit, in der ein Deutscher frei von allen weltlichen Zwängen die Geschicke von 1,2 Milliarden Katholiken lenkte. Und dann auch noch dieser Abgang! Zurückgetreten, einfach hingeschmissen den edlen Kirchenjob. Wie ein schnöder Politiker, der über eine abgeschriebene Doktorarbeit stolpert oder ein gieriger Wirtschaftsboss, dem beim Geldmachen das Maß abhanden kam. Ein bisschen mehr Durchhaltevermögen hätte man schon erwarten können von einem, der im Dienst Jesu Christi tätig ist.

Okay, das ist jetzt vielleicht etwas respektlos. Aber Fakt bleibt: Das Papstamt hat deutlich an Zauber verloren. Das geben nach Benedikts angekündigten Abschied selbst höchste Würdenträger wie Berlins Kardinal Rainer Maria Woelki zu. Insofern, so formuliert es ein anderer Theologe, entspreche dieser Rücktritt in seiner Dimension dem Fall der Berliner Mauer. Da bricht also zusammen, wird geradezu eingerissen, worüber die Zeit ohnehin hinweggegangen ist. Nun muss Neues her – und das ist eine riesige Chance. Die Grundfesten könnten nun endlich anders ausgerichtet werden. Und das hat die katholische Amtskirche, hat der Vatikan, hat die Kurie mit Blick auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bitter nötig. Der neue Papst müsste ein weltläufiger, weltgewandter, ja weltlicher Seelsorger sein. Das wäre ein Segen nicht nur für gläubige Katholiken.

Denn Benedikt, von dem man allerdings auch nichts anderes erwarten konnte, gehörte zu den wirklichkeitsfremden und -fernen Verfechtern eines stockkonservativen Papsttums. Zurück zu den vergeistigten Wurzeln des Christentums, lautete sein reaktionär anmutendes Motto. Aber kann es ein Wert an sich sein, bedingungslos dem Alten zu huldigen? Nicht wenn draußen die Welt völlig anders tickt. Nur eine Institution, die sich öffnet für das, was um sie geschieht, kann auf Dauer Bestand haben. Sie muss etwas anbieten. Und die katholische Kirche hat prinzipiell das Rüstzeug dafür, sich um die Sorgen und Nöte der Menschen zu kümmern. Nah sein, da sein – darauf kommt es heutzutage an. Das Geistige braucht dabei nicht vernachlässigt werden. Als Grundlage für den Glauben an sich, fürs mildtätige Tun, für den seelischen Halt des Einzelnen ist es unerlässlich. Allein: Tradition darf kein Selbstzweck sein. Sie muss aufs Engste mit dem Hier und Jetzt verknüpft werden.

Für die katholische Kirche im allgemeinen und das Amt eines Papstes im besonderen bedeutet dies: Es gilt, das politische Bewusstsein zu schärfen und dementsprechend zu handeln. Der Bedarf ist immens, die Bedürfnisse sind riesig. Der schreiende Hunger in der Welt, die abgrundtiefe Kluft zwischen Armen und Reichen, ein entfesselter, zügel- wie regelloser Kapitalismus, religiöse Unterdrückung – es gibt wahrlich genug Unrecht anzuprangern. Glaubhaft kann dies jedoch nur derjenige tun, der mitten im Leben steht. Einer, der Konflikte nicht scheut, sondern sie zu lösen versucht. Einer, der sich einmischt und vermittelt. Der Papst, ein Bürger von Welt? Warum denn nicht! Die reine Lehre, das war vorvorgestern.

Zugegeben. Das sind mit Blick auf die derzeitige Verfasstheit des Vatikans kaum mehr als arg naiv anmutende, die Realität förmlich verleugnende Wünsche. Aber vielleicht schafft es ja doch ein Lateinamerikaner oder ein Afrikaner auf den Stuhl Petri, die aufgrund tagtäglicher Erfahrungen per se der Welt zugewandter sind als irgendein Funktionär in beschaulichen Rom. Doch letztendlich werden wohl die alten Beharrungskräfte auch bei der nächsten Papstwahl wieder den Ausschlag geben. Schade. Denn dass die katholische Kirche in absehbarer Zeit noch einmal eine derartige Chance auf Erneuerung bekommt, ist mehr als fraglich. Deshalb an dieser Stelle rasch noch ein Stoßgebet: Himmel hilf!

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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