Der Tagesspiegel, 4. Mai 2013

„Hassparolen, Drohungen und Gewalt“

Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, über Antisemitismus in Ungarn, Hetzer und das wachsame Auge der EU

Herr Lauder, am Sonntag findet die Vollversammlung des Jüdischen Weltkongresses erstmals in Budapest statt. Damit soll ein Zeichen gegen den grassierenden Antisemitismus in Ungarn gesetzt werden. Was kann eine derartige symbolische Geste überhaupt bewirken?
Wir wollen damit die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Problem des Antisemitismus lenken, der gerade in Ungarn in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist. Und wenn ein Problem erst einmal im Licht der Öffentlichkeit steht, steigt auch der Druck auf die politisch Verantwortlichen, das Problem anzugehen und wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

 Wie stark ist die Judenfeindschaft in Ungarn geworden?
Zunächst einmal: Das Land ist wahrlich kein Einzelfall. Wir beobachten steigenden Antisemitismus in vielen Staaten Europas. Wir hören aber – von Gemeindemitgliedern in Ungarn, unabhängigen Beobachtern, Journalisten und Experten –, dass  sich der Judenhass dort wieder offen manifestiert, auch in den Medien.

Woran machen Sie das fest?
Das ist ganz einfach: Wenn Juden öffentlich beschimpft und bedroht werden, dann stimmt etwas nicht. Noch viel schlimmer geht es übrigens den Roma in Ungarn, die von rechten Gruppen systematisch drangsaliert werden. Immer wieder gibt es auch Gewaltakte oder Drohungen. Außerdem finden sich in wichtigen gesellschaftlichen Positionen erklärte Antisemiten, die ungehindert ihre Hassparolen verbreiten können.

In aller Öffentlichkeit?
Ja, das ist oft der Fall. Zum Beispiel sind einige ungarische Webseiten voll mit übelsten antisemitischem Müll. Im Parlament hetzen Abgeordnete gegen Juden und Israelis. Regelmäßig finden gut besuchte Demos in Budapest und auf dem Land statt, bei denen judenfeindliche Parolen gegrölt werden. Am vergangenen Sonntag wurde Vorsitzende der Raoul-Wallenberg-Gesellschaft in Ungarn in einem Fußballstadion von Rechtsextremen attackiert. Sie haben ihm sogar das Nasenbein gebrochen. Die Summe vieler solcher Einzelfälle ergibt ein Gesamtbild, das alles andere als rosig ist.

Welche Rolle spielt die rechtsextreme Jobbikpartei?
Jobbik ist ein Übel. Das sind Leute, die ganz bewusst die historische Anknüpfung an die ungarischen Nationalsozialisten herausstellen und aus ihrem Antisemitismus, ihrem Antiziganismus  und ihrer Menschenverachtung gegenüber Andersdenkenden keinen Hehl machen. Diese Leute sind eine Triebfeder des Antisemitismus. Und sie haben enormen Zulauf in Ungarn, vor allem auf dem Land.

Und Regierungschef Victor Orbán lässt die Antisemiten gewähren?
Wir können bislang nicht erkennen, dass die Maßnahmen der Regierung mit der Dimension des Problems Schritt gehalten, geschweige denn etwas verändert haben. Ich halte Orbán nicht für einen Antisemiten. Aber es gibt im Land und leider auch in seiner Regierungspartei Fidesz genügend Judenfeinde, die offen hetzen, ohne dass ihnen Grenzen aufgezeigt werden. Von einer Null-Toleranz-Politik gegenüber Rassismus und Antisemitismus ist Ungarn jedenfalls noch weit entfernt.

Dennoch wird Orban bei Ihrem Jahrestreffen die Eröffnungsrede halten. Wie passt das zusammen?
Es ist guter Brauch, dass Regierungschefs zu unseren Veranstaltungen eingeladen werden, um dort eine Rede zu halten. Viktor Orbán ist der demokratisch legitimierte Regierungschef Ungarns. Er muss jetzt handeln und Wege aus dieser schwierigen Situation aufzeigen. Wir sind gespannt,  was er konkret gegen den Antisemitismus zu unternehmen gedenkt

Die EU zögert noch, ihr Mitglied Ungarn mit Sanktionen zu belegen. Was erwarten Sie von Brüssel?
In erster Linie erwarte ich etwas von Ungarn. Der Wandel muss von innen kommen. Brüssel sollte aber ein wachsames Auge haben – nicht nur auf Ungarn, sondern auf alle Mitgliedsländer. Warum gibt es in Europa trotz der Schrecken der Schoa immer noch so viel Antisemitismus, viel mehr als zum Beispiel in Amerika oder in Asien? Wir messen Europa nicht an seinen Worten, sondern an der Realität. Leider waren die vergangenen Jahre in dieser Hinsicht ziemlich ernüchternd. Es wäre schön, wenn die Europäer schnell eine gemeinsame Position zu diesem Problem entwickeln.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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