Starke Meinungen, 14. Oktober 2011

Preis der Freiheit, Preis des Lebens

Nach 2000 Tagen Gefangenschaft kommt der israelische Soldat Gilad Schalit frei

Terror zahlt sich aus. Und wie! Mehr als 1000 palästinensische Gefangene kommen frei, damit ein einziger israelischer Soldat nach fünf Jahren endlich zu seiner Familie zurückkehren kann. Darunter viele verurteilte Mörder, die nur eines im Sinn hatten: möglichst viele Juden zu töten. Sie haben Blut vergossen – und es war ihnen ein Genuss. Jetzt werden sie ausgetauscht gegen einen jungen Mann, der vor mehr als fünf Jahren in den Gazastreifen verschleppt wurde und sich seitdem in Geiselhaft der Hamas befindet.

Fast 2000 Tage währt nun schon das Martyrium des Gilad Schalit. Vielleicht hat es kommende Woche endlich ein Ende. Hoffentlich. Denn erst, wenn der heute 25-Jährige tatsächlich wohlbehalten in seiner Heimat eintrifft, wissen wir, dass die Islamisten ausnahmsweise einmal eine Vereinbarung eingehalten haben. Und wir werden Zeuge sein, wie die Hamas ihren Sieg über das „zionistische Gebilde“ feiert, den Bombenbrüdern einen triumphalen Empfang bereitet. Seht her, so lautet ihre Ekel erregende Botschaft, wir haben die Juden in die Knie gezwungen. Es lohnt sich, Unschuldige zu entführen, ihre Angehörigen und deren Regierungen zu erpressen. Man braucht vielleicht einen langen Atem, dazu eine gehörige Portion Menschenverachtung – aber am Ende zahlt sich Terror aus. Eine schreckliche Erkenntnis, eine gerade im Nahen Osten der Realität geschuldete.

Das ist die dunkle Seite des Deals zwischen der Regierung Netanjahu und der Hamas, der offenbar vor allem auf Betreiben Ägyptens zustande kam. Die unmoralische, die widerwärtige Seite. Doch es gibt auch eine helle. Eine, auf der man Werte wie Moral, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe erkennen kann. „Wer eine einzige Seele rettet, rettet die ganze Welt.“ Dieses Zitat aus dem Talmud ist häufig in den vergangenen Tagen bemüht worden, um zu erklären, warum Jerusalem letztendlich bereit war, einen derart hohen, vielleicht zu hohen Preis für Gilad Schalits Freilassung zu zahlen. Aber genau dieser Satz ist es, der den Unterschied macht.

Er zeugt von ethischen Maßstäben, von Humanität, von Größe. Und macht klar, dass sich in einer Demokratie, so schwer es ihr auch oft fallen mag, Politik am Menschen, am Bürger zu orientieren hat. Lieb Staatsräson, magst ruhig sein. Zumindest in bestimmten Fällen. Dann wiegt das Schicksal eines Einzelnen schwerer als das, was der Verstand befiehlt, die nüchterne Lageanalyse gebietet. Denn beide sprechen eine klare, an elementaren Prinzipien orientierte Sprache: Mach dich nicht erpressbar, schon gar nicht durch Terroristen. Das gilt vor allem für den jüdischen Staat, der seit seinem Bestehen von Feinden umzingelt ist. Umso mehr zeugt es von Mut, wenn Jerusalem jetzt viele Mörder in die unverdiente Freiheit entlässt, um das Leben eines einzigen Soldaten zu retten.

Premier Netanjahu hat sich lange Zeit geweigert, mit den Todfeinden seines Landes ein solch ungleiches Geschäft abzuschließen. Aus Sicht eines israelischen Regierungschefs ist diese Haltung verständlich. Aber sie konnte nicht von Dauer sein. Zu groß war der öffentliche Druck auf ihn, endlich zu handeln, auch wenn dabei eherne politische Prinzipien des jüdischen Staates über Bord gehen könnten. Für die Mehrheit der Bürger von Eilat bis Haifa stand ohnehin von Anfang an fest, dass Schalit heimkehren muss – koste es, was es wolle.

Diesem Volkswillen ist Netanjahu jetzt gefolgt. Sollte der Vermisste wirklich in den nächsten Tagen zurückkommen dürfen, wird sogar der Ministerpräsident einen Grund zum Feiern haben. Nicht zuletzt, weil Israel mit seinem Handeln beweist, dass es im Unterschied zu seinen Feinden ein Gewissen hat. Das zahlt sich irgendwann aus.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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