The European, 2. August 2013

Frieden wider Willen

Israelis und Palästinenser reden wieder miteinander. Eine Herzensangelegenheit ist das nicht, sondern die Umstände zwingen sie dazu

Sie schweigen, eisern. Nicht ein Interview der Beteiligten. Kein Wort über Einzelheiten des Verhandlungsverlaufs. Gibt es Hinweise auf mögliche Kompromisslinien? Alles streng vertraulich, ja geheim. Diskretion ist das Schlüsselwort bei der neuerlichen Wiederaufnahme der Nahostgespräche. Bloß kein unbedachtes Wort. Denn es könnte, vor Kameras und Mikrofonen vernehmlich ausgesprochen, das letzte sein.

Die Erwartungen sind ohnehin gering genug. Und will man das ganze Friedensprojekt nicht schon vor dem eigentlichen Anfang unter Wut, Hass und Missgunst begraben, hält man sich tunlichst zurück. Lasst Israelis und Palästinenser ruhig unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit miteinander reden! Es tut ihnen, tut der Sache sicherlich gut. Weil so beide Seiten nur sich selbst und damit ihren Völkern verpflichtet sind.Immerhin steht für die ewigen Kontrahenten einiges auf dem Spiel.

Vielleicht sogar mehr als noch vor gut drei Jahren. Damals, als ein eisiges Schweigen beider Konfliktparteien begann, das erst jetzt US-Außenminister John Kerry unter Aufbietung verschiedener politischer Tricks beenden konnte. Zum Glück. Schließlich hat sich die sehr kleine, gleichwohl hochexplosive Region des Nahen Ostens in dieser recht kurzen Zeit von Grund auf verändert.

Der Hoffnungsschimmer namens Arabischer Frühling hat sich verflüchtigt. Unruhen, Gewalt und Chaos sind an der Tagesordnung. Islamisten gegen Militärs, Religiöse gegen Säkulare, Regimebefürworter gegen Regimegegner. Ägypten steht vor einem Bürgerkrieg, der in Syrien bereits tobt - mit allen schlimmen Folgen für die Nachbarn. In Tunesien sieht es kaum besser aus. Alles scheint aus den Fugen zu geraten. Da ist es ratsam, möglichst nüchtern die Fakten zu betrachten, um daraus die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Das gilt für Israelis wie für Palästinenser. Beide werden schmerzhafte Kompromisse mit dem Gegenüber eingehen müssen. Weil es geboten ist. Präsident Mahmud Abbas sollte endlich einsehen, dass sein Volk abgrundtief gespalten ist: Auf der einen Seite die Westbank, das Fatah-Land. Auf der anderen Seite der Gazastreifen, Hamastan. Eine gangbare Brücke zwischen der eher säkular gesinnten und der islamistischen Welt ist derzeit weit und breit nicht in Sicht. Einmal ganz abgesehen davon, dass auch in Ramallah Demokratie ein Fremdwort und von einer Zivilgesellschaft keine Spur ist.

Zudem sind den Palästinensern ihre Verbündeten abhanden gekommen. Die arabische Welt ist nämlich mit sich selbst beschäftigt. Der Kampf gegen Israel spielt nur noch eine Nebenrolle, wenn überhaupt. Damaskus, Kairo, Bagdad, Tripolis, Beirut - überall haben die Menschen alle mal mehr Angst vor blutiger Anarchie als vor dem "zionistischen Feind". Und vor einem auftrumpfenden, weil atomar aufgerüsteten Iran. Und vor dem radikal-militanten, ideologische aufgeladenen Al-Qaida-Terror. Abbas und seinen Gefolgsleuten bleibt eigentlich nicht anderes übrig, als sich mit dem Erzfeind Israel zu verständigen. Um des eigenen Überlebens willen.

Ähnliches gilt für Benjamin Netanjahu. Denn es gibt zur Zwei-Staaten-Lösung keine Alternative - sofern der demokratische und jüdische Charakter des Staates bewahrt werden soll. Das weiß auch Israels Regierungschef. Der demografische Faktor spielt einfach den Arabern in die Hand. Schon in 20 Jahren könnten Juden im Judenstaat eine Minderheit sein. Diese Aussicht muss jeden Politiker in Jerusalem alarmieren. Und sie zwingt zu pragmatischem Handeln.

Hinzu kommt, dass Israel von allen Seiten Ungemach droht. Syrien, Ägypten, Libanon - kein Mensch kann vorhersehen, wie gefährlich die dortige Instabilität für Israel noch werden kann. Im Angesicht dieser Situation empfiehlt es sich, wenigstens im unmittelbaren Umfeld Ruhe einkehren zu lassen, sich mit den Palästinensern auf einen Minimalkonsens zu verständigen. Selbst wider willen. Denn Netanjahu könnte damit Historisches hinterlassen und dort landen, wo er selbst einen Platz zu finden gedenkt: in den Geschichtsbüchern.

Das mag alles plausibel, schlüssig, ja zwingend klingen. Doch bisher zeichnete sich der Nahostkonflikt durch das gänzliche Fehlen von Nüchternheit und Zweckmäßigkeit aus. Warum sollte sich das jetzt grundlegend ändern? In der Tat spricht allzu viel dafür, dass Israelis und Palästinenser in alten Schützengräben verharren. Dass Extremisten die Verhandlungen unter Sperrfeuer nehmen.

In den Reihen Abbas' gibt es genügend Hardliner, die jede Verständigung mit den "Zionisten" kategorisch ablehnen und auf den bewaffneten Kampf setzen. Und die jüdische Siedlerlobby macht immer wieder klar, was sie von einer möglichen Aufgabe des Westjordanlandes hält: gar nichts. Deshalb wird sie weiter mächtig Druck auf Netanjahu ausüben. Bei dieser Gefechtslage sollte folglich auch dieses Mal kaum einer mit Frieden rechnen. Vielleicht aber ist genau das - zugegeben, nicht ganz nüchtern betrachtet - seine große Chance.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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