Der Tagesspiegel, 29. März 2014

Verdammt nah dran

Türkisches Säbelrasseln: Warum Deutschland ganz schnell in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt werden könnte

Man hat sich an den abstumpfenden Tenor der Nachrichten aus Syrien gewöhnt: viele Bomben und noch mehr Tote, Tag für Tag. Dazu Millionen Menschen auf der Flucht vor Hunger, Leid und Not. Ein Krieg, sicherlich. Aber einer, der im notorisch kriegerischen Nahen Osten tobt. Also in ausreichender Entfernung, um – in welcher Form auch immer – nicht direkt involviert zu sein.

Dieser Hoffnung könnte man sich leicht hingeben. Doch sie ist nichts anderes als eine Selbsttäuschung. Der blutige Konflikt zwischen Syriens Machthaber Baschar al Assad und den Aufständischen ist uns ganz nah und sollte uns nahegehen. Denn wir könnten im Handumdrehen in diesen Krieg verwickelt werden.

Dass die Gefahr real ist, zeigen die jetzt auf Youtube veröffentlichten Mitschnitte eines Gesprächs hoher türkischer Regierungsvertreter. Es sei „kein Problem“, einen Anlass zum Losschlagen zu finden, betont Geheimdienstchef Fidan laut der Aufzeichnung. Eine Aussage, die uns alarmieren muss. Weil klar wird: Der vermeintlich regionale Konflikt in Syrien hat jederzeit das Potenzial, zu einem verheerenden Flächenbrand zu werden – und sei es „nur“, weil ein Regierungschef in Ankara namens Recep Tayyip Erdogan womöglich von der innenpolitischen Misere ablenken möchte. Denn was übertönt lautstarke Kritik an seiner Selbstherrlichkeit besser als patriotische Hurra-Parolen?

Wie ernsthaft der Premier so etwas erwägt, ist offen. Doch die ganze Lage in und um Syrien ist derartig brenzlig, dass schon ein unbedachtes Wort schlimme Folgen haben könnte. Auch außerhalb der Region. Immerhin ist die Türkei Nato-Mitglied, an der Grenze zu Syrien sind deutsche Patriot-Einheiten stationiert. Sollte Ankara in Manier eines Hasardeurs und als Ablenkungsmanöver den Kampf mit dem verhassten Assad suchen – der Westen einschließlich Deutschlands wäre kein Zuschauer mehr, sondern ein Teil des sich dann wohl unkontrolliert ausbreitenden Konflikts. Daher täten Washington wie Berlin gut daran, mäßigend auf Erdogan einzuwirken und ihm unmissverständlich klarzumachen: keine wahlkampftaktischen Provokationen!

Eine solche Warnung ist berechtigt. Denn allein schon die von türkischen Behörden verhängten Internetsperren machen deutlich, dass die Nerven bei den Regierenden in Ankara blank liegen – vor der wichtigen Kommunalwahl am Sonntag. Da kann man schon mal auf dumme, aber wirkungsmächtige außenpolitische Gedanken kommen, die sich als wirkungsmächtig erweisen können.

Schließlich ist die Gemengelage in der Krisenregion bedrohlich genug. Der Libanon gehört durch den Einsatz der Hisbollah auf Assads Seite schon jetzt zum Kriegsschauplatz, auf dem Schiiten und Sunniten ihre Schlachten schlagen. Israel hat zwar keinerlei Interesse, in den syrischen Konflikt hineingezogen zu werden. Doch auch an dieser Grenze genügt bereits eine vermeintlich kleine Attacke, um eine größere militärische Auseinandersetzung zu provozieren. Und dann wird – mit Amerika, Europa, Russland, Iran und den Golfstaaten im Hintergrund – ganz schnell eine gefährliche Angelegenheit daraus.

Syrien ist ein internationaler Konflikt. Das wird gerne verdrängt. Die jetzt veröffentlichten Mitschnitte von Gesprächen türkischer Regierungsvertreter belehren alle Gutgläubigen, die uns fernab des Geschehen wähnen, eines Besseren. Doch wir sind verdammt nahe dran am dortigen Bürgerkrieg. Ob es uns passt oder nicht.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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