Jungle World, 10. April 2014

Auf Leben und Tod

Böhmische Dörfer (38): Warum Kriegsreporter unseren Respekt verdienen

Am vergangenen Wochenende hatten die Afghanen die Wahl. Und viele Millionen haben sich für Freiheit und Demokratie entschieden. Sie trotzten den Taliban und gaben ihre Stimme für einen neuen Präsidenten ab. Die Menschen setzten damit ein sichtbares Zeichen – gegen den Terror der Islamisten. Anja Niedringhaus wäre vermutlich begeistert gewesen. Sie, die seit vielen Jahren die Entwicklung des Landes mit der Kamera in der Hand und mit einer großen Portion Empathie aufmerksam begleitet hat. Doch als die Menschen in langen Schlangen und im strömenden Regen vor den Wahllokalen standen, war die 48-Jährige bereits tot.

Einen Tag vor der Entscheidung über den künftigen Staatschef hatte ein Polizist mit einer Kalaschnikow und dem Ruf “Gott ist groß” auf Niedringhaus und ihre Kollegin Kathy Gannon gefeuert. Beide saßen auf der Rückbank eines Autos und wollten dabei sein, wenn Wahlzettel ausgeliefert werden. Eigentlich ein Routinetrip für das Duo. Aber dieses Mal ging alles schief. Gannon wurde bei den Anschlag schwer verletzt, Niedringhaus war sofort tot. Eine Kriegsreporterin, die der Krieg aus dem Leben riss.

Wer aus Konflikt- und Krisenregionen berichtet – und das hat Anja Niedringhaus jahrelang getan –, weiß um die Gefahr, die man dabei eingeht. Das Risiko ist ein ständiger Begleiter. Auch die Deutsche war sich dessen sehr wohl bewusst. In einem Interview sagte sie einmal: “Ich will nicht umgebracht werden. Wenn ich tot bin, ist das schade. Ich hänge am Leben.” Die Pulitzerpreisträgerin gab auch freimütig zu, dass sie Angst habe.

Doch das hielt Niedringhaus nicht davon ab, als Journalistin immer wieder großen Mut zu zeigen. Eine bewundernwerte Eigenschaft, die einen Kriegsreporter auszeichnet. Und deren Einsatz sollten wir mit großen Respekt goutieren. Denn sie sind es, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um uns mithilfe von Texten und Bildern über das Grauen in der Welt informieren. Diese kleine Schar von Journalisten verteidigt auf ihre Art die Freiheit der Menschen und der Presse. Weil sie von dort berichten, wo beide Grundrechte mit Füßen getreten werden. Gebe es diese Reporter nicht als Zeugen, könnten die Schlächter dieser Welt frohlocken – und deren Opfer blieben unerwähnt.

Der berühmte Kriegsfotograf James Nachtwey hat sein Selbstverständnis einmal so ausgedrückt: “Ich bin kein Jäger. Mir geht es mehr um eine Haltung. Ich glaube, dass ich einen wichtigen sozialen Auftrag erfülle, im Dienst der Öffentlichkeit.” Anja Niedringhaus hatte ein ähnliches Anliegen: Sie wollte die Menschen zeigen, die in Konfliktgebieten leben müssen und auf das Danach aufmerksam machen, “nachdem geschossen wird”. Das ist der Fotojournalisten nicht mehr vergönnt. Ein Fanatiker hat das verhindert. Und der Krieg mit seinem langen Arm.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

Telefon: +49(0)176.32 73 83 34

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