Der Tagesspiegel, 25. Mai 2014

Die Zeichen der Sprache

Franziskus besucht das Heilige Land - als einfacher Pilger. Doch die Fahrt ist eine politische. Und der Papst kann etwas bewegen

Eine Pilgerfahrt. So möchte der Vatikan die Reise des Papsts ins Heilige Land verstanden wissen. Ein frommer Diener Gottes, der als einfacher Wallfahrer die Heimat Jesu und die Wiege des Christentums besucht – das passt zur demonstrativen Bescheidenheit, die Franziskus predigt und vorlebt. Gott, Gebete und Gemeinschaft sollen bis Montag im Mittelpunkt stehen. Warum auch nicht? Das sind die Grundfesten einer Kirche.

Doch Franziskus weiß sehr wohl: Sein Aufenthalt in Jordanien, dem palästinensischen Westjordanland und Israel ist ein Ereignis von Welt. Und ob es der Argentinier will oder nicht, spielt bei fast allen Programmpunkten die Politik eine wichtige Rolle. Schließlich bewegt sich Jorge Mario Bergoglio auf dem verminten Terrain des Nahen Ostens. Mithin eine von Krisen geplagte, spannungsgeladene Region. Welch ein Kontrastprogramm zu Franziskus’ Spiritualität.

Aber wenn nicht alles täuscht, ist der Pontifex gewillt, diese Herausforderung anzunehmen. Mehr noch. Seine Pilgerfahrt könnte eine historische werden, weil sie offenkundig vom Willen zum Dialog geprägt ist. „Damit sie eins seien“, lautet denn auch das Motto der Reise. Es bezieht sich zwar in erster Linie auf das schwierige Verhältnis zwischen West- und Ostkirche. Aber zweifellos besitzt der Leitgedanke auch fürs Große und Ganze Gültigkeit. Auf Gott vertrauend heißt seine Mission Versöhnung.

Die Voraussetzungen dafür sind denkbar gut. Die Lasten der Vergangenheit, die etwa seinen deutschen Vorgänger Benedikt plagten, drücken Franziskus kaum. Der 77-Jährige wird diese Unbefangenheit zu nutzen wissen. Und dass er es ernst meint mit dem Wunsch nach Ausgleichs, zeigen seine Reisebegleiter: ein Rabbiner und ein Islamgelehrter, beide langjährige Freunde Bergoglios. Man mag das in einem ersten Reflex als Symbolpolitik abtun. Nur: Der Nahe Osten ist für Zeichensprache sehr empfänglich. Das gilt für die dort lebenden Muslime, Juden und Christen gleichermaßen. Sie werden das Signal richtig zu deuten und zu würdigen wissen: Seht her, ihr seid mir wichtig. Ich achte euch.

Gerade in Israel, das sich isoliert fühlt, durfte eine derartige Geste gut ankommen. Womöglich leistet das Oberhaupt der katholischen Kirche sogar bahnbrechende Wiedergutmachungsarbeit und erweist sich so als echter Freund: Beim Besuch des Grabes von Theodor Herzl könnte sich der Papst für historisches Unrecht entschuldigen. Denn einst hatte ein früherer Chef des Vatikans dem Begründer des politischen Zionismus die Unterstützung für einen jüdischen Staat verweigert. Es ist Zeit, diesen Fehler einzugestehen und ein neues Kapitel in den katholisch-jüdischen Beziehungen aufzuschlagen.

Derartiges Entgegenkommen gibt dem Bischof von Rom die notwendige Bewegungsfreiheit, um seine Aufgabe wahrzunehmen – als wohlmeinender Mahner, nicht als Neunmalkluger, der zum Beispiel ausschließlich Israels Politik gegenüber den Palästinensern geißelt. Das schließt klare Worte keineswegs aus. Sie sind sogar geboten. Etwa zur Lage der Palästinenser. Oder zur bedrückenden Situation der im Geburtsland Jesu lebenden Christen. Sie fühlen sich zunehmend bedroht – auch von jüdischen Extremisten, die die „Ungläubigen“ mit ihrem Hass verfolgen. Wie überhaupt die Christen im Nahen Osten von Fanatikern drangsaliert werden. Franziskus wäre ein schlechter Papst, würde er dazu schweigen.

Doch selbst dieses Thema könnte in den Hintergrund treten. Denn den Nachfolger Petri treibt vor allem die Einheit des Christentums um. Erklärtermaßen will Bergoglio den Orthodoxen Respekt erweisen und so die Aussöhnung der Ökumene vorantreiben, Rom und Konstantinopel einander näher bringen. Heute trifft Franziskus den orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I. In der Grabeskirche wollen sie mit Vertretern anderer Kirchen beten. Ein historischer Moment. Es wird wohl nicht der einzige bleiben bei dieser Pilgerfahrt.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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