Der Tagesspiegel, 25. Mai 2014

Mit Bäumen gegen die Wüste

Yatir gilt als der größte Wald im Nahen Osten. Er ist ein Beispiel für Israels riesiges Aufforstungsprogramm. Das Ziel: Neuen Lebensraum schaffen

Eine sonnenverbrannte Wüste. Nur kahle Berge und weite Steppe. Kaum mal ein Strauch, geschweige denn ein Baum. Und auf der ganzen Strecke nirgendwo ein Mensch - eine „stille, traurige Weite“. So beschrieb Mark Twain seine Eindrücke, als er 1867 durchs Heilige Land reiste. Hätte der amerikanische Schriftsteller heute die Gelegenheit, seine Fahrt zu wiederholen, er würde sich wohl verwundert die Augen reiben: überall Bäume, in allen Farben schillernde Pflanzen und Blumen. Dazu grüne Hügel mit Wäldern, die so groß sind, dass man sich beim Spazierengehen in ihnen verlaufen könnte. Wälder, die von hunderttausenden Menschen genutzt werden, als Einkommensquelle und zur Erholung. Denn immer mehr Israelis leben inzwischen dort, wo Mark Twain einst nur Einöde vorfand.

Dass das heutige Israel zum Teil aus blühenden, vor allem reich bewaldeten Landschaften besteht, ist eine Erfolgsgeschichte, die auf einer zionistischen Vision gründet: die Wüste ergrünen zu lassen. Schon die ersten jüdischen Siedler begannen Ende des 19. Jahrhunderts mit bescheidenen Mitteln ein Programm  zur Wiederaufforstung. Nicht zuletzt, um dem Boden seine ursprüngliche Fruchtbarkeit wiederzugeben. Im Alten Testament zum Beispiel werden viele Baumarten erwähnt. Zypressen soll es ebenso gegeben haben wie Eichen oder Tamarisken.

Doch die Waldherrlichkeit hatte keinen Bestand. Viele Jahrhunderte lang legten die Israeliten selbst Hand an. Später holzten Römer, Byzantiner, Araber, Mongolen und Osmanen alles nieder. Am Ende blieb kaum ein Baum übrig. Heute allerdings gibt es riesige, von Menschenhand und mit viel wissenschaftlichem Know how angelegte Wälder. Der größte im ganzen Nahen Osten heißt Yatir, misst bald 4000 Hektar und liegt am östlichen Rand der Wüste Negev.

Vier Millionen Bäume stehen hier mittlerweile. Und wer auf einem der angelegten Wege ausruht, der vergisst schnell, dass es um das weitläufige Areal herum fast ausschließlich Sand und Felsen gibt. Die Luft ist angenehm frisch, ein leichter Wind verteilt den Duft der Pinien. Und jetzt im Frühling erstrahlt der aus Eichen, Zypressen, Mandel und Pistazienbäumen bestehende Wald an vielen Stellen in sattem Grün. Eine Oase mitten in der Steppe, wie Förster Abed Abu Elakian mit sichtbarem Stolz betont, „ein Wunder, ein wahr gewordener Traum.“ Das er schwärmt, ist allerdings kein Wunder. Abed Abu Elakian kennt in Yatir jeden Baum, schon sein Vater war dabei, als mit der Aufforstung begonnen wurde. Und Sohn Abed lernte bereits als  Kind von ihm, wie man der Wüste etwas abtrotzt.

Vor genau 50 Jahren begann die Organisation Keren Kayemeth Leisrael (KKL, Jüdischer Nationalfonds) in Yatir mit Baumpflanzungen. Damals glaubte allerdings kaum jemand an einen Erfolg. Zu widrig wirkten die Voraussetzungen. Denn eines der größten Hindernisse sind die fehlenden Niederschläge. Durchschnittlich kommen in dieser Gegend pro Jahr gerade mal 400 Milliliter zusammen. Heutzutage sind es wegen des Klimawandels und der damit einhergehenden Erderwärmung oft nur noch 200 Milliliter. Zu wenig, um einen Wald wachsen zu lassen, eigentlich. Doch den Fachleuten des Jüdischen Nationalfonds und des Weizmann Instituts in Rechovot ist es gelungen, die geringen Mengen an Feuchtigkeit optimal zu nutzen.

Das beginnt schon beim Pflanzen der Setzlinge. Dazu wird zunächst ein etwa 50 Zentimeter großes Loch ausgehoben. Darin befindet sich eine Art Becken, um jede noch so geringe Menge Wasser aufzufangen, sei es Tau oder Regen. Außerdem hilft man mit der von Israel perfektionierten Tröpfchenbewässerung dem Wachstum auf die Sprünge. In der Regel wird drei Jahre lang künstlich bewässert. Dann muss der Baum stark genug sein, um sich selbst zu helfen – auch inmitten einer Wüste.

Aber warum pflanzt der Jüdische Nationalfonds Bäume in derart unwirtlicher Umgebung? Elisha Mizrahi hat auf diese naheliegende Frage sofort eine Antwort parat. „Wir wollen, dass mehr Menschen bereit sind, hierher zu ziehen“, sagt der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei KKL. Denn die Wüste Negev macht zwar die Hälfte der gesamten Fläche Israels aus. Aber es leben dort gerade mal acht Prozent der gesamten Bevölkerung von sieben Millionen Menschen.

Das soll und hat sich schon geändert. Inzwischen sind viele Menschen in die Region gezogen. Sie schätzen das ruhige Leben auf dem Land. Und dies hat laut Elisha Mizrahi mindestens zwei Gründe. Zum einen bietet ihnen der Wald Erholung. Hier kann man ein Picknick machen, mit dem Rad die Gegend erkunden oder wandern. Zum anderen gibt Yatir den in der Umgebung lebenden Menschen Arbeit. Denn durch die Aufforstung ist auch der Boden insgesamt sehr ertragreich geworden. Inzwischen leben viele Menschen recht gut von der Landwirtschaft. Das gilt nicht nur für Yatir, sondern auch für andere Regionen im Negev und ganz Israel. Seit den 60er-Jahren hat der Jüdische Nationalfonds mithilfe von Spenden und durch Einnahmen aus der Verpachtung von Land mehr als 240 Millionen Bäume gepflanzt. Jedes Jahr kommt etwa eine Million hinzu. So wird die Wüste Stück für Stück zurückgedrängt oder zumindest daran gehindert, sich weiter auszudehnen.

Anfangs war das Aufforsten allerdings mit herben Rückschlägen verbunden. Viele Arten kamen gerade in wüstenartigen Gegenden wie dem Negev mit den extremen klimatischen Bedingungen nicht zurecht und gingen rasch wieder ein. Mit der Zeit lernten die Forstexperten aber, Bäume aus Südamerika und Australien oder einst vorhandene Gewächse in Israel (wieder) heimisch zu machen. Und mit dem Grün kamen die Menschen. Mehr als 50 Orte sind entstanden, Hunderttausende haben so eine neue Heimat gefunden. Und der jüdische Staat hat sich für die kommenden Jahre noch einiges vorgenommen. Allein im Negev soll Platz für eine Million Menschen geschaffen werden – indem die Wüste weiter mit Bäumen begrünt und damit nutzbar gemacht wird. Ein Mammutunternehmen, das Leben schafft, um weiteres Leben anzuziehen. Mark Twain würde wohl ganz schön staunen.


Der Maler Marc Chagall hat es getan. Die Hollywood-Schauspielerinnen Elisabeth Taylor und Sharon Stone auch. Und Politiker wie Willy Brandt, Michael Gorbatschow, Johannes Rau und Angela Merkel sowieso. All diese Prominenten haben einen Baum in Israel gepflanzt. Organisiert wird diese symbolische Geste vom Keren Kayemeth Leisrael (KKL), dem Jüdischen Nationalfonds. Er wurde 1901 auf Initiative von Theodor Herzl gegründet und kümmerte sich zunächst um den Landerwerb für jüdische Siedler im britischen Mandatsgebiet Palästina. Nach der Gründung Israels 1948 war dann die Aufforstung des Landes die vordringlichste Aufgabe. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Jüdische Nationalfonds ist nach eigenen Angaben inzwischen Israels größte politisch unabhängige Umweltschutzorganisation -  auch wenn die Beziehungen zum Staat sehr eng sind. Die Projekte, die zum Beispiel auch der Wassergewinnung und der Erforschung neuer Agrartechniken dienen, werden überwiegend durch Spenden finanziert. In Israel und den jüdischen Gemeinden außerhalb des Landes kennt jeder die blaue KKL-Büchse. Sie wird in der Regel freitags vor Beginn des Schabbats und bei anderen Feiern mit Geld „gefüttert“. In Deutschland wurde der Jüdische Nationalfonds 1953 wieder gegründet. Der Verein mit Büros in Düsseldorf, Berlin, Frankfurt am Main und München hat das Ziel, die Arbeit von KKL durch Spenden zu unterstützen. Eine besondere Beziehung besteht zum „Wald der deutschen Länder“ bei Beer Schewa. Dort gibt es mittlerweile 500 000 Bäume, die mit finanzieller Hilfe von Gemeinden, Bundesländern und Einzelpersonen gepflanzt wurden.


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Dr. Christian Böhme
Journalist

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