The European, 3. November 2011

Links, schwenkt marsch!

Die Kanzlerin raubt der SPD Stück für Stück das Wahlprogramm. Es mag Zeit für eine Umbenennung der CDU sein

Arme SPD! Da spurtet Peer Steinbrück von rechts kommend selbstherrlich und fast ungebremst in Richtung Kanzlerkandidatur. So, als sei das Ziel, die nächste Bundestagswahl, schon in greifbarer Nähe. Und dann setzt auch noch Genossin Angela von der Mitte aus zu einem linken Überholmanöver an. So, als läge ihr der trickreiche Bahnenwechsel quasi im Blut. Schlimmer geht’s immer, könnten sich jetzt Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Andrea Nahles trösten. Doch die Führungscrew der Sozialdemokratie weiß selbstredend, wie bedrohlich die gegenwärtige Situation ist. Vor allem die sozialpolitischen Anwandlungen der Kanzlerin stellen die Kernkompetenz der SPD ernsthaft infrage. Ein allgemein verbindlicher Mindestlohn, gefordert von der Chef-Christdemokratin – den Obersozis in ihren Startblöcken muss der Atem stocken.

Was auch sonst? „Wenn Frau Merkel umfällt, dann tut sie es hier wenigstens in die richtige Richtung“, musste eine hörbar zerknirschte SPD-Generalsekretärin einräumen. Wohl wissend, dass die neue Verfechterin von Lohnuntergrenzen keinesfalls zu fallen gedenkt. Sie wird ihr Ding durchziehen, großer Widerstand ist ohnehin kaum zu erwarten. Bei der Atomwende, der Frauenquote und dem Ende der Wehrpflicht hielten sich die Proteste ja auch in Grenzen. Und jetzt ist eben der Mindestlohn dran.

Dabei sind die Volten der Kanzlerin eine Zumutung. Nicht nur für die SPD, sondern gleichfalls für FDP und die wenigen noch verbliebenen Konservativen in der Union. Doch das kümmert Merkel herzlich wenig. Sie weiß, dass sich gerade in diesen krisenhaften Zeiten der Euro-Rettungsversuche ein soziales Profil langfristig auszahlen wird: im Herbst 2013. Dazu gehört nun mal, die Sozialdemokratisierung ihrer Partei und der Wählerschaft voranzutreiben. Zum großen Leidwesen der SPD.
Es ist wie verhext: Egal, worauf sich die Sozialdemokratie thematisch stürzt – Angela Merkel ist früher oder später mit von der Partie. Als wäre das nicht schon bedrohlich genug, ist der Kanzlerin bei ihren Vorstößen zudem stets besondere Aufmerksamkeit gewiss. Eine vermeintlich konservativ gesinnte Politikerin, die scheinbar eherne Positionen aufgibt und nach links schwenkt, hat nun mal einen größeren Nachrichtenwert als sich treu bleibende Rote. Leider hat die SPD darüber hinaus derzeit wenig zu bieten. Sie verharrt nach der desaströsen Wahlschlappe von 2009 noch immer in der Selbstfindungsphase. Ein programmatisches Trauerspiel. Kein Biss, nirgends. Und das in Zeiten entfesselter Märkte, denen es eins um andere Mal gelingt, die Politik vor sich herzutreiben.

Doch wer gibt in der Opposition den finanz-, europa- und wirtschaftspolitischen Ton an? Die Grünen und ihr Frontmann Jürgen Trittin. Da helfen auch Talkshow-Runden mit dem Altvorderen Helmut Schmidt und seinem Zögling Peer Steinbrück nicht wirklich weiter. Ach, fände die SPD doch endlich einen machtvollen Hebel, um der Regierung Paroli bieten zu können. Unmöglich ist das ja keineswegs. Schließlich wirkt Schwarz-Gelb ziemlich ausgelaugt.

Das sieht offenbar auch Angela Merkel so. Ihr mit dem Winz-Koalitionspartner unabgestimmter Mindestlohn-Vorstoß macht hinlänglich deutlich, was sie vom derzeitigen Zustand der Liberalen hält: gar nichts. Offenkundig misst sie der FDP bei ihren Zukunftsplanungen keinerlei Bedeutung mehr bei. Sollen die Röslers, Bahrs und Brüderles selbst sehen, wie sie zurechtkommen und ihren kleinen Rest Glaubwürdigkeit bewahren. Mir doch egal. Eine schmerzhafte Erfahrung für die Freien Demokraten, von ihrer einstigen Wunschpartnerin im wahrsten Sinne des Wortes links liegen gelassen zu werden. Denn dies kann nur heißen: Das Ende von Schwarz-Gelb ist aus Sicht der CDU-Vorsitzenden beschlossene Sache. Wer setzt schon auf eine Vier-Prozent-Partei als Verbündeten?

Apropos irrelevant. Die wenigen verbliebenen Konservativen im Kanzlerinnen-Verein werden den Mindestlohn-Schwenk ihrer Chefin zwar mit Stirnrunzeln („wirtschaftsfeindlich und wettbewerbsschädlich“) zur Kenntnis nehmen. Lautstarke Empörungsrufe sind beim Leipziger Parteitag in knapp zwei Wochen dennoch nicht zu erwarten. Nur im Stillen und hinter vorgehaltener Hand wird man murren, dass Merkel über die Jahre hinweg die Markenzeichen der Christdemokraten verwässert hat. Ein paar sentimentale Heimatlose. Das war’s dann aber auch.

Der Berliner „Tagesspiegel“ hat es am Dienstag treffend, weil überspitzt formuliert: Die CDU sollte sich ehrlicherweise umbenennen – in Sozialdemokratische Union Deutschlands. SDU, das könnte die Kanzlerin insgeheim schmunzeln lassen. Arme SPD.

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Dr. Christian Böhme
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