The European, 16. November 2011

Auf braunem Untergrund

Warum der Rechtsextremismus nicht mit der NPD gleichgesetzt werden darf - und die Partei dennoch verboten gehört

Ein Abgrund tut sich auf. Wer in ihn hineinblickt, entdeckt braunen Sumpf, schiere Mordlust, unfassbare Menschenverachtung, grenzenlosen Hass und ein Höchstmaß an krimineller Energie. Mehr als ein Jahrzehnt lang zogen drei Nazi-Killer (womöglich unterstützt durch einen Komplizen) tötend, bombend und raubend durch deutsche Lande. Und hätten zwei Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ nicht eigenhändig ihrem Leben ein Ende gesetzt, die Zwickauer Zelle würde wohl immer noch wehrlosen Menschen in den Kopf schießen und Banken ausrauben. Uwe M., Uwe B. und Beate Z. – ein rechtsterroristisches Trio im Gewaltrausch.

Ein deutscher Abgrund, sicherlich. Aber nicht der einzige in diesem spektakulären Fall. Warum konnten die infernalischen drei so lange unentdeckt ihr psychopathisches Unwesen treiben? Welche Rolle spielt in diesem Gruselschocker der Verfassungsschutz? Muss die Republik eine Braune Armee Fraktion fürchten? Und was haben diese „Natural Born Killers“ mit einem Verbot der NPD zu tun? Viele Fragen, auf die es zumindest einige Antworten gibt.

Fest steht: Uwe M., Uwe B. und Beate Z. waren für die Sicherheitsbehörden keine Unbekannten. Sie standen schon in den 90er-Jahren unter Beobachtung, wurden mehrfach verhört – und konnten dennoch untertauchen. Mit den „Döner-Morden“ an acht Türken und einem Griechen sowie der Hinrichtung einer Heilbronner Polizistin zwischen 2000 und 2007 wurden die Gangster von den Ermittlern nicht in Verbindung gebracht. So heißt es offiziell. Womöglich hat der Verfassungsschutz, haben die Nachrichtendienste also einfach versagt. Das wäre an sich schon schlimm genug. Aber inzwischen liegt sogar der Verdacht in der Luft, dass der Verfassungsschutz irgendwie seine Finger im Spiel hatte. Standen die beiden Männer und die Frau oder einer von ihnen als Spitzel auf der Gehaltsliste eines Amtes? Ist dann die Sache irgendwie aus dem Ruder gelaufen, konnten sie nicht rechtzeitig genug „abgestellt“ werden? V-Leute, die quasi staatlich finanziert bundesweit auf Mordtour gehen – ein schrecklicher Verdacht. Das wäre ein Gau für die Behörde und alle Beteiligten.

Allerdings sollte man sich vor allzu schnellen Urteilen hüten. Das betrifft auch das Gerede von einer Braunen Armee Fraktion. Anders als bei der RAF in den 70er-Jahren agierte nach bisherigen Erkenntnissen die thüringische Terrorzelle autonom. Eine aktive Unterstützer- oder gar Sympathisanten-Szene ist bislang nicht erkennbar. Auch hatten die Täter offenkundig kein Interesse, sich ihrer Taten zu brüsten, Bekennerschreiben zu veröffentlichen und damit ihrem brutalen Vorgehen einen ideologischen Unterbau zu geben. Bei allem Hass auf Ausländer, Polizisten und das demokratische „System“ sind Uwe M., Uwe B. und Beate Z. in erster Linie Schwerkriminelle mit einem Hang zur perversen Inszenierung als Gesetzlose.

Diese Feststellung bedeutet jedoch keineswegs eine Entwarnung in Sachen Rechtsextremismus. Die braune Gefahr ist immens, und sie wird weiterhin unterschätzt – von der Gesellschaft und den Behörden, die seit den Anschlägen von New York und Washington 2001 vor allem den Islamismus als Bedrohung im Blick haben. Das hat zwar seine Berechtigung. Schließlich stellen militante Muslime mit ihrem „heiligen Krieg“ unser auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit beruhendes demokratisches Gemeinwesen infrage. Doch die Angst vor den Bomben der Dschihadisten hat dazu geführt, dem Treiben der einheimischen Nazis fatalerweise weniger Beachtung zu schenken. Selbst die verständliche Aufmerksamkeit für die Zwickauer Zelle führt bei der Gefahrenanalyse in die falsche Richtung.

Denn das braune Gedankengut verbreitet sich in Ost und West nicht etwa durch alltägliche Übergriffe, spektakuläre Attentate oder Mordserien. Das Gesinnungs-Gift wirkt vielmehr schleichend, gelangt über scheinbar harmlose Kinderbetreuung und Dorffeste in die Köpfe der Menschen. Gleichwohl ist deren Wirkung fataler als die einer einzelnen Bombe. Die Botschaft lautet nämlich: Seht her, während uns die anderen immer vergessen, sind die netten Kameraden von nebenan stets für uns da. Die kümmern sich. So wird Ausländerhass und Demokratiefeindlichkeit fast unbemerkt und widerstandslos zum Allgemeingut. Eine verheerende Entwicklung zum Schaden aller.

Womit wir bei der NPD und dem nächsten Abgrund wären. Das unselige Hin und Her in der Frage eines neuen Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht ist ein einziger Skandal. Der Staat und seine Repräsentanten zeigen sich zur Freude der Nazis schwach und unentschlossen. Dabei kann kein Zweifel an der Verfassungsfeindlichkeit der Partei der braunen Genossen bestehen.
Die NPD hat mit Demokratie herzlich wenig im Sinn. Sie predigt hinter verschlossenen Türen blanken Rassismus und üblen Antisemitismus. Der Staat, den wir schätzen, ist den Holger Apfels und Udo Voigts ein Graus. Sie halten ihn deshalb für bekämpfenswert.
Um all das den Richtern deutlich zu machen, bedarf es keiner V-Leute. Deshalb müssen sie abgezogen werden, weil ihr ohnehin heikler Einsatz das größte juristische Hindernis auf dem Weg zum Verbot darstellt. Dann wäre auch endlich Schluss mit der absurden Finanzierung der Partei durch Steuergeld. Bis heute kassiert die NPD ganz legal jedes Jahr viele Hunderttausend Euro staatlicher Unterstützung. Den von ihr verbreiteten Schmutz bezahlen also wir alle. Ein unsäglicher Zustand.

Aber täusche sich niemand: Das Ende der NPD würde keineswegs das Ende des Rechtsextremismus bedeuten. Auch das Zwickauer Terror-Trio agierte offenbar ohne engere Bindung an Deutschlands Nichtsnutz-Partei. Um sich vor dem Ausbreiten brauner Gewalt und einiger Nazikiller zu schützen, braucht es effektiv arbeitende Sicherheitsbehörden, engagierte Politiker und eine couragierte Gesellschaft. Eine, die rechtzeitig das rechte Auge weit öffnet. Nur so wird man des Nazi-Untergrunds gewahr, bevor sich ein Abgrund auftut.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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