The European, 24. November 2011

Wir Scheinheiligen

Die Politik will mit einer zentralen Trauerfeier an die Opfer der Neonazi-Morde erinnern – eine heuchlerische Veranstaltung

Wer bei Google die Worte „Gedenken“ und „Deutschland“ eingibt, erhält sekundenschnell fast vier Millionen Treffer. Ein beachtliches, ein stolzes, ein staatstragendes Ergebnis. Und man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass es schon sehr bald einige Hunderttausend Treffer mehr sein werden. Denn Bundestag, Bundespräsident und Bundesregierung bereiten gemeinsam eine zentrale Feier für die Opfer der Neonazi-Mordserie vor. Eine derartige Veranstaltung garantiert (ähnlich wie die Entschuldigungs-Erklärung der deutschen Parlamentarier) per se ein Mindestmaß an zwischenmenschlicher Anteilnahme und ein Höchstmaß an medialer Aufmerksamkeit, sprich: eine Menge neuer Einträge bei Google. Einträge über das gute Deutschland, das dem bösen Deutschland mittels Trauergestus seine moralische Überlegenheit demonstriert.

Endlich, werden viele ausrufen, wurde aber auch allerhöchste Zeit! Zu Recht. Dennoch ist die geplante Trauerfeier für die acht Türken und einen Griechen an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Ein Akt zur Schau getragener, vor allem unberechtigter Selbstvergewisserung, gleichermaßen heuchlerisch wie wohlfeil. Zudem ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen. Weil mit ihren Gefühlen Schindluder getrieben wird.

Ein harsches Urteil, mag man einwenden. Aber ein milderes kommt wohl kaum infrage. Schließlich gründet es auf erwiesener Schuld. Das wiedervereinigte Deutschland hat jahrelang geflissentlich ignoriert und verdrängt, dass der Rechtsextremismus nicht nur eine ideologische Bedrohung darstellt, sondern im schlimmsten Sinne des Wortes auch eine Gefahr für Leib und Leben. Neger, Obdachlose, andere „Asoziale“, Ausländer, Juden und „linke Zecken“ gehören zu den bevorzugten Opfern brauner Gewalttäter. Deshalb trauen sich diese Minderheiten in manchen Gegenden der Republik kaum auf die Straße. Es sind recht- und schutzlose No-Go-Areas. Zu Risiken und Nebenwirkungen bei Betreten fragen Sie Ihre zuständige Nazi-Kameradschaft.

Wir wissen das alles – eigentlich. Dennoch werden viele politisch motivierte Straftaten mit eindeutig rechtsradikalem Hintergrund von den zuständigen Sicherheitsbehörden nicht als solche gewertet. Frei nach dem unmenschlichen Motto „Alles halb so wild!“ wird das Offenkundige schöngerechnet, schöngeredet und damit schöngefärbt. Menschenverachtender Rechtsterrorismus? Nicht bei uns! Ein verhängnisvoller Trugschluss, der es – gepaart mit Fixierung auf den militanten Islamismus – der Zwickauer Nazimörderbande ermöglichte, landauf, landab und je nach Belieben aus rassistischen Motiven zu morden. Ein fremdenfeindliches Killerkommando macht Jagd auf Wehrlose – und keiner will’s bemerkt haben.

Im Gegenteil. Noch vor wenigen Tagen sprach man republikweit ziemlich verächtlich von den „Döner“-Morden. Wenn überhaupt von den acht hingerichteten Türken und dem ähnlich grausam getöteten Griechen die Rede war. Und oft wurde in diesem Zusammenhang etwas von Machenschaften, Mafia und Milieu geraunt. So, als seien die neun Menschen an ihrem grausamen Ende irgendwie selbst schuld. Der unausgesprochene, vorurteilsreiche Vorwurf: Migranten sind und bleiben uns fremd, Ausländer mit merkwürdigen Eigenheiten eben, manch einer sogar mit einem Hang zum Kriminellen. Ein ziemlich perfides Gedankengebäude, das von den Rechtsextremisten Uwe M., Uwe B. und Beate Z. gewaltsam eingerissen wurde.
Nun stehen wir ratlos kopfschüttelnd vor den Trümmern unserer einst fest zementierten Gewissheiten und suchen nach Halt, insbesondere nach Entlastung.

Also gibt sich das offizielle Deutschland zerknirscht, räumt Versäumnisse ein, schaltet auf Trauermodus und gedenkt. Hauptsache, die Verwandten, Freunde und Angehörigen der Ermordeten gewähren Absolution. Doch im Grunde ist das unmöglich. Wie sollen Menschen, die zuvor als „anders“ geschmäht wurden, dem Sünder von der einen auf die andere Sekunde vergeben? Ist es den Müttern und Vätern, den Geschwistern und Kindern zuzumuten, bei einer Gedenkfeier womöglich Beifall zu spenden, wenn die Redner Betroffenheit ob des eigenen Fehlurteils demonstrieren oder in wohlgesetzten Worten Scham darüber bekunden, dass aus rassistisch motiviertem Hass in Deutschland getötet wird? Zu viel verlangt.

Vielleicht ahnt die aufgeschreckte Politik ja, dass sie auf diese Form der Entlastung vorsichtshalber nicht bauen sollte. Und womöglich setzen die Verantwortlichen deshalb auf die vermeintlich heilende Kraft des Geldes. Die Familien der Neonazi-Opfer würden eine Entschädigung erhalten, kündigte das Justizministerium vor wenigen Tagen an. Man wolle mit dieser Geste ein Zeichen der Solidarität, der Anteilnahme setzen. Ein Scheck soll also die Schmerzen lindern und offenkundige Fehler weniger schwer wiegen lassen – billiger geht es kaum. Ein Ablasshandel der besonders peinlichen Art. Hoffentlich geht diese Mogel-Rechnung nicht auf. Denn wie die angekündigte Trauerfeier ist sie vor allem eines: ein Alibi. Darüber können auch ein paar Hunderttausend neue Einträge bei Google nie und nimmer hinwegtäuschen.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

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