Der Tagesspiegel, 29. Juli 2015

"Mein Besuch in Berlin fühlt sich wie ein Sieg an"

Israels Innenminister Silvan Shalom über die Botschaft der Makkabiade, die Folgen des Atomdeals mit Teheran und neue Bündnisse im Nahen Osten

Minister Shalom, Sie sind in Tunesien geboren, im Negev aufgewachsen und nun als Israels Innenminister zur Eröffnung der Europäischen Makkabiade in Berlin – der Stadt, die viele Israelis mit dem Grauen der Nazizeit und der Shoa verbinden. Wie fühlt sich das an?

Es ist schwierig für uns, das Olympiastadion zu besuchen, das durch die Spiele 1936 so sehr mit der Ausgrenzung der Juden verbunden ist. Einerseits. Andererseits fühlt sich das auch wie ein Sieg an.

Ein Sieg?


Es gibt uns Juden immer noch. Und wir haben einen eigenen Staat. Die Botschaft lautet: Wir lassen uns nicht zerstören. Das war vor 80 Jahren keinesfalls ausgemacht. Jetzt sitze ich als Israels Vizeregierungschef bei der Eröffnung der Makkabiade neben Bundespräsident Joachim Gauck. Das ist schon etwas Besonderes.

Deutschland hat die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt, jetzt aber wie auch die USA ein Atomabkommen mit dem Iran geschlossen, das Israel für grundfalsch hält. Wie wirkt sich das auf die Beziehungen aus?


Ich hoffe, dass sich am guten Verhältnis nichts ändert. Denn das steht auf einer breiten Grundlage. Allerdings sind wir enttäuscht, dass der Iran einfach so in die Völkergemeinschaft zurückkehren kann – obwohl die Islamische Republik weiter den Terror unterstützt. Niemand hat ein „Hört auf damit!“ zur Bedingung für die Übereinkunft gemacht. In zehn, 15 Jahren kann Teheran alles tun, was es möchte.

Vizekanzler Gabriel hat als erster westlicher Politiker gleich nach der Einigung Teheran besucht. Wie bewerten Sie das?


Er ist nicht der Einzige. Wir erleben ein Wettrennen um gute Geschäfte. Gabriel hat immerhin deutlich gesagt, dass der Iran Israels Existenzrecht anerkennen muss. Wir wissen dies zu schätzen.

Seine Reise ist keine Belastung für die Beziehungen?


Wir können in bestimmten Frage verschiedener Meinung sein und dennoch Freunde bleiben. Deutschland gehört zu unseren verlässlichsten Partnern und Unterstützern, wie ja auch die USA. Wenn es aber um unser Überleben geht, verlassen wir uns nur auf uns selbst. Wir wissen am besten, wie wir uns schützen. Über die Entwicklung sind im Übrigen nicht nur wir besorgt, sondern viele in der Region. Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten sehen ihre Sicherheit bedroht. Es wird ein Wettrüsten geben, das den Nahen Osten destabilisieren könnte.

Israel an der Seite von Saudi-Arabien und Ägypten: Das klingt nach einer ungewöhnlichen Koalition. Tun sich da für Israel neue Möglichkeiten auf?


Ich bemühe mich seit Langem um ein Einvernehmen mit moderaten arabischen Ländern. Denn wir haben viele gemeinsame Interessen, nicht nur im Umgang mit dem Iran. Auch der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ verbindet uns. Jordanien etwa hat große Probleme mit den Dschihadisten. Die „Gotteskrieger“ versuchen, die herrschenden Regierungen zu unterminieren. Deshalb baut Israel seine Kontakte zu gemäßigten Regimen aus.

Israels Sorgen haben Präsident Obama nicht von dem Abkommen abgebracht. Sind Sie enttäuscht?


Zumindest konnte Israel einige Punkte in seinem Sinne verändern. Dennoch: Wir können mit dieser Übereinkunft nicht leben. Für uns ist es eine grauenvolle Vorstellung, dass Teheran zur Atommacht wird. Das stellt nicht nur militärisch unsere Sicherheit infrage, sondern hätte auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Stellen Sie sich mal vor, der Iran richtet Atomraketen auf Israel – wer wird da noch investieren wollen? Die Touristen werden ausbleiben. Und junge Israelis darüber nachdenken, ob sie nicht besser ihre Heimat verlassen.

Was wird Ihre Regierung tun? Versuchen, das Abkommen mithilfe der US-Republikaner doch noch zu Fall zu bringen?


Israel wird nichts unternehmen, um die Abgeordneten des US-Kongresses zu beeinflussen. Die Entscheidung über die Zustimmung zum Abkommen ist eine interne Angelegenheit Amerikas.

Sie sagen, das Abkommen ist für Israel inakzeptabel. Was wäre die Alternative?


Die Sanktionen aufrechterhalten! Die haben Wirkung gezeigt. Noch besser wäre eine Verschärfung. Aber das würden Russland und China wahrscheinlich nicht mitmachen.

Sehen Israels Verbündete die von Ihnen geschilderten Gefahren nicht?


Wir haben schon viele Abkommen erlebt, an die sich Hoffnungen auf Frieden und Stabilität knüpften. Aber sie gingen nicht in Erfüllung. Abertausende mussten deshalb sterben. Präsident Obama hat im Wahlkampf 2008 neue Beziehungen zu Kuba und dem Iran versprochen. Die will er nun unbedingt erreichen. Er glaubt, das sei die beste Politik für die USA.

Wenn die Gefahr durch Teheran so groß ist, wäre es dann nicht wichtig, in der eigenen Nachbarschaft Frieden zu haben? Die Gespräche mit den Palästinensern stocken seit Langem.


Wir bemühen uns darum. Aber zum Tangotanzen gehören nun mal zwei. Manche Dinge brauchen Zeit. Die Aufgabe, sich in kurzer Zeit auf einen Endstatus zu einigen, ist einfach zu groß.

Es hat seit Jahren keinen Fortschritt gegeben. Israel verliert internationalen Rückhalt, weil die meisten Länder ihm die Schuld am Stillstand geben. Wie wollen Sie das ändern?


Wir dringen mit unseren Argumenten nicht durch. Wenn wir ein neues Haus in Jerusalem bauen, ist die Aufregung größer, als wenn in Syrien 230 000 Menschen ums Leben kommen. Vor einer Woche gaben wir 8000 Palästinensern zusätzlich die Erlaubnis, in Israel zu arbeiten. Ungefähr 50 000 arbeiten bereits bei uns legal, dazu viele illegal. Wir haben Checkpoints abgebaut. Und in Gaza helfen wir beim Wiederaufbau. Jeden Tag fahren 800 Lastwagen mit Waren und Baumaterial über die Grenze. Wir liefern Wasser und Strom. Doch das will niemand hören. Auch nicht, dass die Palästinenser einen höheren Lebensstandard haben als die Menschen in den arabischen Staaten um sie herum.

Glauben Sie immer noch an eine Zwei-Staaten-Lösung?


Ja. Aber wir sprechen von zwei Staaten für zwei Völker. Was am Ende herauskommt, verdient eine intensive Diskussion. Unsere Regierung ist jedenfalls gegen eine Ein-Staaten-Lösung.

Aber steht Israels Regierung wirklich zur Zwei-Staaten-Lösung? Premier Netanjahu hat schon mal solche Zweifel geweckt.


Der Ministerpräsident hat mehrfach bekräftigt, dass er zur Zwei-Staaten-Lösung steht. Wir brauchen aber Sicherheitsgarantien. Israel kann seinen Schutz nicht in die Hände anderer legen.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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