Der Tagesspiegel, 9. Dezember 2015

Ob es regnet, ob es hagelt

Georg M. Hafner und Esther Schapira fragen in ihrem Buch, warum immer Israel an allem schuld ist. Eine Rezension

Antisemit. Welch ein hässliches, garstiges Wort. Eines, mit dem niemand in Verbindung gebracht werden möchte. Ein Judenfeind? Um Himmels willen! Ich doch nicht!

Israelkritiker. Welch ein wichtiges Wort. Eines, mit dem man sich ohne Weiteres schmücken kann. Eines, das Lob und Anerkennung einbringt. Denn bei allem Verständnis: Der jüdische Staat kann doch nicht einfach machen, was er will. Da läuft schon einiges aus dem Ruder. Das darf, ja, muss benannt werden, oder?

Stimmt. Prinzipiell. In Deutschland allerdings hat die Empörung über Israel durchaus System. Hier kritisieren besonders viele Menschen – allesamt Nahost- Experten – den jüdischen Staat im Ganzen und als solchen. An kein anderes Land werden dermaßen harte Maßstäbe angelegt, ist das Bashing derart drastisch. Das Levitenlesen trägt zuweilen obsessive Züge. Und in keinem anderen Fall wird auch nur ansatzweise erwogen, die Existenzfrage zu stellen.

So bekommt die Kritik an Israel etwas Judenfeindliches.Wann schlagen Vorbehalte gegenüber dem jüdischen Staat in Antisemitismus um? Wie viel Judenhass steckt in einem Antizionisten? Warum soll Israel immer an allem schuld sein? Diesen Fragen gehen die Journalisten Georg M. Hafner und Esther Schapira in ihrem Buch nach. Herausgekommen ist bei „Israel ist an allem schuld“ eine schonungslose Streitschrift, die mit Polemik nicht spart.

Auf gut 300 Seiten beziehen die Autoren Stellung – für einen fairen Umgang mit Israel und seiner Politik. Dass dies im Deutschland der Gegenwart eher die Ausnahme als die Regel ist, belegen Hafner und Schapira mit vielen verstörenden Beispielen. Sie machen damit deutlich, welches Ausmaß die Kluft zwischen offizieller Politik – also der oft beschworenen Staatsräson – und der Volksmeinung hat.

Alarmierend groß und erschreckend klar trat diese Diskrepanz im Sommer 2014 zutage. Israel wehrte sich militärisch gegen die permanenten Raketenangriffe aus dem Gazastreifen. Es begann der Fünfzig-Tage-Krieg gegen die Hamas und ihren Terror. Zunächst gab es in Deutschland ein gewisses Verständnis dafür, dass Israel den Dauerbeschuss nicht länger hinnehmen konnte. Dass die Regierung in Jerusalem die Bevölkerung schützen musste.

Aber schon nach kurzer Zeit war die Empathie aufgebraucht. Es folgten wohlfeile bis anmaßende Mahnungen, Israel solle die Verhältnismäßigkeit wahren. Dann gab es Proteste gegen den Beschuss des Küstenstreifens, bei dem auch Frauen und Kinder ums Leben kamen. Die Angriffe müssten sofort ein Ende haben, tönte es. Weil Israel nicht einlenkte, wurde der jüdische Staat an den Pranger gestellt.

Dass die Hamas ihre Geschosse inmitten palästinensischer Wohngebiete abfeuerte und die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauchte, spielte in der aufgeheizten Debatte dagegen keine Rolle. „Gleichgültig, wie sich die Palästinenser verhalten, die Sympathieschlacht gewinnen sie immer“, schreiben Schapira und Hafner. Wie so oft im Nahostkonflikt.

Doch bei dieser Art Kritik blieb es nicht. Der Protest gegen Israels Vorgehen verlagerte sich im Juli vergangenen Jahres auf die Straße, wurde aggressiver und hasserfüllter. In Berlin und anderen Städten skandieren Demonstranten „Kindermörder Israel“. Schlimmer noch: Auf einigen Kundgebungen rufen Geiferer und Eiferer unbehelligt und in aller Offenheit antisemitische Parolen. „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ ist zu hören. Oder „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“.

Es gibt sogar Attacken auf Unbeteiligte, nur weil sie durch die Kippa als Juden erkennbar sind. In Wuppertal schleudern junge Palästinenser Brandsätze auf die Synagoge. Verletzt wird niemand. „Aber der Anschlag sitzt in den Köpfen derer, denen er gegolten hat: deutschen Juden, siebzig Jahre nach Auschwitz“, schreiben die beiden Autoren.

Antizionismus, der zu Antisemitismus geworden ist? Für Hafner und Schapira besteht daran kein Zweifel. Dozierende Hinweise von verschiedenen Seiten, die Proteste richteten sich gegen Israel und eben nicht gegen Juden, halten beide für völlig unangebrachte, gefährliche Beschwichtigungen. „Warum werden dann Synagogen und nicht die israelische Botschaft angegriffen?“, fragen die Autoren zu Recht. „Und was ist mit dem Gebrüll ,Juden ins Gas‘ “?

Schapira und Hafner erinnern in diesem Zusammenhang an eine recht simple Methode, um legitime Israelkritik von antisemitischer Kritik zu unterscheiden: den 3-D-Test. Wer Israel dämonisiere, delegitimiere oder doppelte Standards an das Verhalten des jüdischen Staates anlege, der darf sich nicht beschweren, wenn er als Antisemit beschimpft wird.

Auf die Frage, warum der Judenstaat so gehasst wird, haben die Autoren allerdings keine letztendlich befriedigende Antwort. Vielleicht ist es die unbequeme Konfrontation mit der Erinnerung an dunkle Zeiten, der man entkommen möchte. Oder dient die Kritik an Israel womöglich der Abwehr eigener Schuldgefühle? Mag alles sein. Nur reicht das als Erklärung kaum aus. Aber das Zwanghafte lässt sich nun mal häufig nicht erklären. Es ist einfach da.

Das Buch beginnt übrigens mit einem vielsagenden Zitat des Kabarettisten und Komponisten Friedrich Hollaender aus dem Jahr 1931: „Ob es regnet, ob es hagelt, ob es schneit oder ob es blitzt, / ob es dämmert, ob es donnert, ob du frierst oder ob du schwitzt, / ob es schön ist, ob’s bewölkt ist, ob es taut oder ob es gießt, / ob es nieselt, ob es rieselt, ob du hustest oder ob du niest: / An allem sind die Juden schuld.“

Georg M. Hafner, Esther Schapira: Israel ist an allem schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird. Eichborn Verlag, Köln 2015. 317 Seiten, 19,99 Euro.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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