The European, 8. Dezember 2011

Der bessere Schmidt

Steinbrück? Zu kühl. Gabriel? Zu aufbrausend. Kommt eigentlich nur noch ein Spitzengenosse für die Kanzlerkandidatur infrage

Eigentlich sollte die Angelegenheit in Zeiten ausgefeilter Gentechnik kein ernsthaftes Problem sein. Eine kurze Frischzellenkur hier, ein paar Spritzen mit straffenden Substanzen dort. Dazu noch einige Sitzungen beim Therapeuten, um den Zigaretten-Konsum zumindest etwas einzuschränken. Und schon ist er fertig, der unumstrittene Kanzlerkandidat der SPD. Mehr braucht es nicht. Denn über die darüber hinaus notwendigen Fähigkeiten verfügt der Mann  bereits reichlich. Er ist erfahren im politischen Geschäft, kennt sich mit Wirtschaft gut aus und gilt als kluger, weiser Kopf. Zudem erfreut sich der Alt-Genosse großer Beliebtheit beim Volk und den Medien. Und nicht zu vergessen: Die SPD verehrt und hofiert ihn, über alle politischen Flügel hinweg. Beim Parteitag in Berlin lagen ihm die Delegierten geradewegs zu Füßen. Helmut, mit Dir zur Sonne, zur Freiheit und zum Regieren.

Und dennoch – Helmut Schmidt wird die Sozialdemokraten selbstredend nicht in den Bundestagswahlkampf 2013 führen. Auch wenn der Übervater der SPD sicherlich das Zeug hätte, um Angela Merkel eine vielleicht sogar bittere Niederlage beizufügen. Doch der Mann hat nun mal inzwischen stattliche 92 Jahre auf dem Buckel. Immer noch ein Vordenker, sicherlich. Einer, dessen Ratschläge gefragt sind und der die Richtung weist. Aber als Herausforderer für die CDU-Kanzlerin muss ein anderer ran. Doch ob der am Ende tatsächlich Peer Steinbrück heißen wird, ist nach diesem Parteitag der harmonischen Selbstvergewisserung und demonstrativen Entschlossenheit fraglicher denn je. Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass Helmut Schmidt den ehemaligen Bundesfinanzminister zum einzig wahren Kanzlerkandidaten ausgerufen hat.

Die Genossen, das hat der Parteitag erneut deutlich gemacht, können sich für den kühlen Peer einfach nicht erwärmen. Und der wiederum mag sich ungern in die Delegierten-Niederungen hinab begeben. Das mühsame, oftmals ermüdende Klein-Klein an der Basis ödet ihn an. Also respektiert man einander. Gibt zu, dass der jeweils andere durchaus von Bedeutung ist. Mehr aber auch nicht. Begeisterung, Zuneigung gar, sieht anders aus. Der Hanseat und die SPD – das war, ist und bleibt eine Zweckgemeinschaft. Doch ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat muss nun mal bei aller Verstandeskraft auch Herzlichkeit ausstrahlen, ein Wohlfühl-Gefühl vermitteln, die Hoffnung nach Solidarität bedienen. Genau dafür ist Steinbrück anscheinend der falsche Mann – von den grundsätzlichen Vorbehalten des linken Flügels einmal ganz abgesehen.

Was dem Möchtegern-Kandidaten so augenscheinlich fehlt, davon besitzt Sigmar Gabriel eine ganze Menge. Der mit gut 91 Prozent der Stimmen wiedergewählte Vorsitzende kennt seine Partei und deren Befindlichkeiten. Er kann reden, zeigt sich selbstbewusst und angriffslustig, ohne die notwendige Portion Bescheidenheit vermissen zu lassen. Dass sein Herz auch links schlägt, hindert ihn nicht daran, Augenmaß für das Mögliche zu bewahren. Die Finanzmärkte an die Kandare nehmen – für Gabriel ein Gebot der Stunde. Eine Reichensteuer, die womöglich Wähler in der Mitte vergraulen könnte – nicht mit ihm. Halblinks muss eben reichen, wenn man Kurs in Richtung Regierungsmehrheit nimmt. Und genau da möchte der Parteichef hin.

Die Frage lautet nur: Wird Gabriel darauf drängen, als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf zu ziehen? Oder begnügt er sich damit, seinen Einfluss als Königsmacher geltend zu machen? Und wann kommt der „Harzer Roller“ aus der Deckung? Vieles spricht derzeit dafür, dass der SPD-Frontmann, wenn auch zähneknirschend, einem anderen den Vortritt lassen wird. Denn klar ist: In der Öffentlichkeit erreicht er in der Regel nicht die notwendigen Sympathiewerte. Vielen gilt er als zu polternd, zu aufbrausend, zu überheblich. Das Vermittelnde fehlt ihm. Vermutlich weiß Gabriel das selbst. Und wird sich daher bewusst dafür entscheiden, im Hintergrund die Strippen zu ziehen, um ein Höchstmaß an Einfluss sicherzustellen. Und dafür bedarf es keines Platzes am Kabinettstisch. Als Partei- und Fraktionschef in Personalunion lässt sich bestens Politik gestalten und damit Macht ausüben.

Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel – fehlt nur noch Frank-Walter Steinmeier in der sozialdemokratischen Herrenrunde, die darüber entscheiden will, wer den SPD-Kanzlerkandidaten macht. Unauffällig, aber beharrlich wie eh und je gab sich der ehemalige Außenminister auf dem Parteitag. Ihn und seine Ambitionen zu unterschätzen, könnte ein folgenschwerer Fehler sein.

Denn für Steinmeier sprechen nicht nur sein besonnenes Auftreten und ausgleichendes Wesen, sondern auch die Verbundenheit mit der Partei, seine Rechtschaffenheit und seine Verlässlichkeit. In Krisenzeiten sind das Pfründe, mit denen man wuchern kann. Steinmeier dürfte das sehr wohl bewusst sein, doch reitet er auf seinen Vorzügen nicht öffentlich herum. So etwas kommt an – bei Genossen und Wählern gleichermaßen. Womöglich wird es später heißen: Der Steinmeier habe die Sache mit der Kanzlerkandidatur einfach geschickt angepackt. Ein lachender Dritter, der in Ruhe auf seine Chance warten konnte. Fehlen eigentlich nur noch die höchsten Weihen. Aber vielleicht hat Helmut Schmidt ja schon bald ein Einsehen und spricht die alles entscheidenden Worte: „Er kann es.“ Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier – klingt nicht schlecht. Das sieht er selbst sicherlich auch so.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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