Der Tagesspiegel, 23. Februar 2017

"Am Ende könnte der IS profitieren"

Nahostexperte Buchta über den Kampf gegen die Dschihadisten in Mossul, die Attraktivität des "Islamischen Staats" und die politisch-religiöse Spaltung des Irak

Herr Buchta, die Regierung in Bagdad will jetzt den IS endgültig aus seiner Hochburg Mossul vertreiben. Sind die Tage der Dschihadistenmiliz im Irak gezählt?
Es scheint immer wahrscheinlicher, dass der „Islamische Staat“ dort besiegt und vertrieben wird. Das „Kalifat" hat ohnehin in den vergangenen Monaten viel Macht und Einfluss eingebüßt. Das beherrschte Gebiet ist geschrumpft, den Islamisten geht das Geld aus. Damit schwindet auch die Kontrolle über Territorien und Untertanen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Ursache für den Machtzuwachs der Dschihadisten beseitigt ist – die massive Benachteiligung der Sunniten.

Welchen Stellenwert besitzt Mossul im Kampf gegen die Terroristen?
Mossul hat für den IS einen immensen Prestigewert. In der Millionenstadt wurde im Juni 2014 das weltweite „Kalifat“ ausgerufen. Damit manifestierte sich der Anspruch, ein großes zusammenhängendes Gebiet im Nahen Osten zu kontrollieren. Wenn jetzt die Fundamentalisten gerade in Mossul ihre Flaggen einholen müssen, bedeutet dies einen herben Rückschlag für den propagandistischen Anspruch. Das kann sich auf die Moral der Kämpfer auswirken. Auch das Anwerben neuer Mitglieder dürfte viel schwieriger werden. Gleichwohl: Über den Irak hinaus wird in jugendlichen Milieus der arabischen Staatenwelt die Attraktivität des IS Bestand haben. Dafür sorgen schon die anhaltende wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und die fortgesetzte harte politische Repression der fast durchweg korrupten Machthaber.

Ist Mossuls ideologische Bedeutung der Grund dafür, dass der IS sich so heftig wehrt, zum Beispiel mit Sprengfallen, Scharfschützen und Selbstmordattentaten?
Es geht darum, die sich abzeichnende Niederlage zumindest hinauszuzögern. Denn dass der IS die Stadt aufgeben muss, steht mehr oder weniger fest. Die Übermacht der irakischen Armee und ihrer Verbündeten scheint erdrückend zu sein. Und die militärischen Absprachen zwischen den angreifenden Truppen aus Bagdad, den Kurden im Norden und den schiitischen Milizen funktionieren offenbar. Die Tage des IS in Mossul sind gezählt. Doch bis zur endgültigen Vertreibung können noch Wochen, ja Monate vergehen. Viel hängt letztendlich davon ab, wie mörderisch ihr Abwehrkampf wird und wie die Truppen vorgehen werden.

Mehrheitlich schiitische Kämpfer wollen eine mehrheitlich sunnitische Stadt unter Kontrolle bekommen. Was bedeutet das für Mossuls Zukunft?
Es gibt zwar den erklärten Willen, die Metropole zu besetzen und keine Massaker an der Zivilbevölkerung zu verüben. Aber die Pläne für den Tag danach sind noch völlig unklar. Das gilt vor allem für die Frage, wie die Macht verteilt wird. Deshalb stellt sich fast automatisch die Frage: Bedeutet eine Niederlage des IS tatsächlich Ruhe und Frieden für Mossul?

Wie lautet Ihre Antwort?
Ich habe da erhebliche Zweifel. In Mossul wird sich entscheiden, ob der konfessionell und politisch gespaltene Irak eine Chance hat, wieder zusammenzuwachsen. Kann der Graben zwischen Schiiten und Sunniten überwunden werden? Das scheint mir derzeit jedoch sehr unwahrscheinlich.

Warum?
Der schiitische Ministerpräsident Haider al Abadi macht der sunnitischen Minderheit immer wieder Versöhnungsangebote. Aber er hat nicht ausreichend Autorität, um sich gegen schiitische Hardliner durchzusetzen. In Mossul gibt es zwar mit dem IS einen gemeinsamen Feind. Doch nach der Rückeroberung sind gewaltsame Übergriffe von schiitischen Milizen gegen Sunniten, denen eine Kollaboration mit den Dschihadisten vorgeworfen wird, sehr wahrscheinlich. Und das wird weitere Racheakte zur Folge haben.

Heißt das, selbst bei einer militärischen Niederlage könnte der IS am Ende profitieren, weil er sich die religiösen Gegensätze zunutze macht?
Das ist sehr wahrscheinlich. Denn es gibt keine Kräfte, die ausgleichend zwischen Schiiten und Sunniten vermitteln könnten. Die USA haben einfach zu wenig Einfluss. Das macht sich vor allem bei den Schiiten-Milizen bemerkbar. Die werden ausschließlich vom Iran gelenkt.

Welche Rolle spielt Teheran?

Der Iran ist seit dem Abzug der US-Truppen 2011 als Schutzmacht der Schiiten der dominierende Faktor im Irak. Revolutionsgarden bilden die Milizen aus, organisieren sie, führen sie in den Kampf. Das birgt die Gefahr, dass sich ein Staat im Staat bildet, der sich nicht der Zentralgewalt in Bagdad beugt.

Der Irak scheint weit von Stabilität entfernt, oder?

Ich rechne mit einer Fortsetzung des Bürgerkriegs, und das auf Jahre.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

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