Jüdische Allgemeine, 22. Oktober 2009

»Alles auf eine Karte«

Werbeexperte Sascha Hanke über das Produkt Judentum, provokante Botschaften und Nazijargon

Herr Hanke, sind Sie ein Mensch, der die Gefahr sucht?
Gefahr ist das falsche Wort. Ich denke, Risiko wäre zutreffender. Wenn eine Idee ein gewisses Risiko in sich birgt, ist das ein gutes Zeichen. Weil man sicher sein kann, dass man ein Spannungsfeld beackert. Und dann heißt das zumindest: Es wird nicht langweilig.

Sie haben mit Ihrer Agentur Jung von Matt/Elbe eine Werbekampagne für das jüdische Café Leonar in Hamburg konzipiert, die bewusst mit der Nazivergangenheit spielt. Da heißt es zum Beispiel: »Wenn Sie uns nicht finden, verfolgen Sie einfach einen Juden.« Bei solch einem Satz kann man gerade in Deutschland schnell erhebliche Probleme bekommen.
Also davon habe ich noch nichts bemerkt. Bislang gibt es kaum negative Reaktionen. Das kann aber auch daran liegen, dass die Kampagne gerade erst angelaufen ist. 12.000 Postkarten, die in Klubs und Restaurants verteilt werden, dazu Anzeigen und Plakate – all das startet erst in diesen Tagen. In bunter Schrift auf schwarzem Grund zeigen die Kampagnenmotive provokante Sätze wie diesen: »›Früher war alles besser‹ werden Sie hier bestimmt nicht hören.«

Machen Sie sich keine Sorgen, dass diese Art der Provokation missverstanden werden könnte?
Es ist ja klar zu erkennen, dass es sich hier um Werbung handelt. Juristisch mache ich mir da keine Gedanken. Es geht darum, Aufmerksamkeit für einen jüdischen Salon zu schaffen, nicht für die DVU oder die NPD. Entscheidend ist der Kontext, in dem das geschieht.

Aber der erschließt sich allenfalls auf den zweiten Blick. Man muss die Postkarten umdrehen, um zu erfahren, wer der Absender ist.
Das ist auch beabsichtigt. Es soll ja nicht sofort erkennbar sein, worum es geht.

Sie wollen also vor allem Aufmerksamkeit erregen?
Genau. Und der Betrachter soll sich mit dem Gesehenen auseinandersetzen.

Das Ziel der Kampagne ist doch in erster Linie, das Café Leonar und dessen jüdischen Salon zu »verkaufen«, oder?
Werbung hat nicht nur die Aufgabe, etwas zu verkaufen. Oft geht es ums Image, um ein gutes Gefühl, das mit einem Produkt in Verbindung gebracht werden soll. Banken zum Beispiel werben um Vertrauen und stellen sich gerne als Garanten für Sicherheit dar.

Normalerweise entwirft eine Agentur wie Jung von Matt Werbekonzepte für Großkunden wie Geldinstitute oder Automarken. Jetzt haben Sie sich für einen kleinen jüdischen Salon den Kopf zerbrochen. Wie ist es dazu gekommen?
Die Inhaberin des Cafés, Sonia Simmenauer, und ich haben hier in Hamburg einen gemeinsamen Bekannten, Charly Leske, der Werbefilme produziert. Und der hat mich gefragt: »Hast du nicht Lust, dem jüdischen Salon zu mehr Bekanntheit zu verhelfen? Die Besitzerin ist sehr aufgeschlossen.« Das hörte sich interessant an. Dann gab es ein erstes Gespräch. Frau Simmenauer wirkte angstbefreit, mutig und schien sich wenig Gedanken über die Last der Vergangenheit zu machen. Für sie stand im Vordergrund, ein normales Kaffeehaus mit jüdischem Ambiente zu bewerben. Und so haben wir schnell gemerkt, dass das ein spannendes, ungewöhnliches Projekt werden kann.

Was hat Sie ganz konkret an dieser Aufgabe gereizt?
Wir machen immer wieder Dinge, die thematisch etwas abseits des Tagesgeschäfts liegen. Das gibt uns die Gelegenheit zu experimentieren, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Bei großen Kunden ist oft exakt eine Richtung vorgegeben. Mit dem jüdischen Salon bot sich die Chance, ganz unbefangen an ein Thema heranzugehen.

Unbefangen?
Zugegeben, ein Projekt wie dieses ist für jeden, der in Deutschland lebt, interessant, herausfordernd und – riskant. Als wir uns die ersten Gedanken machten, klingelte es sofort im Kopf: Vorsicht! Samthandschuhe anziehen! Aber genau das reizte uns.

Und welche Rolle spielte dabei das vermeintlich Exotische, das dem Judentum oft anhaftet?
Exotisch? Bei mir ging es eher um die eigene Unwissenheit. Ich kenne mich zwar mit Werbung aus, nicht aber mit dem Judentum.

Hat es Sie nicht auch gereizt, dass Sie sich bei diesem Projekt in der Grauzone eines Tabus bewegen?
Um ehrlich zu sein, es gab auch Entwürfe, die »leiser«, also zurückhaltender, waren. Aber wir haben uns dafür entschieden, alles auf eine Karte zu setzen und zu provozieren.

Wie haben Sie sich überhaupt dem Thema »jüdischer Salon« genähert?
Nach einem ersten Gespräch mit der Kundin habe ich mich mit den Kreativdirektoren Tobias Grimm und Jens Pfau für ein paar Tage zurückgezogen, um die Richtung zu bestimmen, die diese Kampagne einschlagen kann und soll. Beim Café Leonar bedeutete dies: mutig sein, nur nach vorne blicken. Und das mit Humor verpacken. Dann machten sich Grafiker und Texter im Team daran, Konzepte zu entwickeln. Andere wiederum haben recherchiert: über das Judentum, über jüdischen Humor und was es dazu in der Werbewelt bereits gibt. Für all das haben wir uns ganz bewusst einige Wochen Zeit genommen.

War die Schere im Kopf zwischen »erlaubt« und »nicht erlaubt« hinderlich bei der Arbeit?
Die Kreativen hatten keine Schere im Kopf. Einzige Bedingung für ihre Arbeit war: nichts Langweiliges, auf keinen Fall vorsichtig sein. Ich schätze, zwischen 20 und 25 Vorschläge haben wir verworfen.

Zum Beispiel?
Wir haben zum Teil sehr provozierende Sätze in deutscher Frakturschrift eingespiegelt. Doch das erschien uns zu plump.

Zu plump oder zu riskant?

Zu plump, einfach, durchschaubar. Schließlich geht es ja auch um jüdischen Humor.

Heißt das, es gibt keine Grenze?
Nein, es existiert immer eine Grenze. Die Frage lautet nur: Wie weit kann man sich ihr nähern? Ich glaube, mit einem provokanten Slogan wie »Egal, wann Sie kommen, es ist garantiert kein Schwein da« steht unsere Kampagne mit einem Fuß im Grenzgebiet.

Wie würden Sie die Grenze beschreiben?
Es ist eine moralische Grenze. Es geht schließlich immer um Menschen, die von Schoa und Krieg betroffen waren. Das darf man nie vergessen. Bei jedem Motiv stellt sich folglich die Frage: Was wird einer denken, dessen Familie Opfer dieses Grauens geworden ist?

Was würden Sie einem Holocaust-Überlebenden sagen, der die Kampagne in Bausch und Bogen verdammt?
Eine solche Reaktion könnte ich sehr gut nachvollziehen. Ich würde aber sogleich versuchen zu erklären, worum es hier geht: sich unbelastet und humoristisch dem Thema »jüdische Kultur« zu nähern.

Ist die Grenze in Deutschland eine andere als in Frankreich oder Großbritannien?
Ich denke schon. Wir leben ja hier im Land der Täter.

Dennoch wird in der Werbung immer wieder mit Nazijargon hantiert. Vor Kurzem hat Tchibo für seinen Kaffee mit dem Spruch »Jedem das Seine« geworben. Nach wütenden Protesten wurde diese Kampagne abgesetzt. Zu Recht?
Ja. Das war ein Fehltritt, ein Ausrutscher, der kaum zu verzeihen ist.

Heißt das, Sie würden nicht mit Slogans wie »Jedem das Seine« oder »Arbeit macht frei« werben?
So allgemeingültig ist das nicht zu beantworten. Ich kann mir schon vorstellen, mit einem Motiv wie »Jedem das Seine« zu arbeiten. Allerdings ist es ganz entscheidend, dass es dafür dann eine intelligente Auflösung gibt.

Das war bei Tchibo nicht der Fall?
Nein, die Tchibo-Kampagne war ein ungeplanter Ausrutscher. Wichtig ist immer der Kontext der Werbung. Wenn explizit eine jüdische Einrichtung wie das Café Leonar einen derartigen Spruch für den Betrachter clever auflösen würde, könnte das funktionieren. Nehmen Sie unser Motiv »Wenn Sie uns nicht finden, verfolgen Sie einfach einen Juden«. Das trifft ins Schwarze, weil der jüdische Salon tatsächlich äußerst versteckt in einem Hamburger Hinterhof liegt. Ich finde das clever. Gute Werbung arbeitet immer nah am Produkt.

Esso, Nokia, die Merkur-Bank – woran liegt es, dass die Werbebranche immer wieder versucht, mit Nazijargon auf ein Produkt aufmerksam zu machen? 
Ich sehe hier keine bösen Absichten. Nicht zuletzt geht es doch um die deutsche Sprache. Bestimmte eingängige Worte und Redewendungen existieren einfach, und die Werbetexter gebrauchen sie deshalb oft. Aber die zumeist noch jungen Kreativen scheinen nicht zu wissen, dass die Nazis mit ihren Verbrechen solchen Sätzen eine neue, sehr negative Konnotation gegeben haben.

Ihr Kollege Sebastian Turner von der Agentur Scholz & Friends hat vorgeschlagen, eine Liste mit Nazi-Unwörtern anzulegen, die für Werbeagenturen tabu sein sollten.
Ich befürchte, diese Liste würde niemand zur Kenntnis nehmen, geschweige denn im Arbeitsalltag beherzigen.

Wie kann heutzutage Judentum beworben werden, ohne in die Nazifalle zu tappen?
Es kommt darauf an, worum es konkret gehen soll.

Das Jüdische Museum in Berlin zum Beispiel wirbt für sich mit einem Plakat, das eine Zahnpastatube zeigt, aus der eine Raupe kriecht. Dazu heißt es: »Nicht das, was Sie erwarten.«
Das ist zwar durchaus kreativ, aber auch belanglos und beliebig in der Aussage. Und die trifft doch genauso auf jeden guten Wein zu. Urlaub, Kino, Abendessen – vieles ist oft anders als erwartet. Ich würde mir eine pointierte Botschaft wünschen: Was habe ich ganz konkret davon, wenn ich das Jüdische Museum besuche? In Zeiten permanenter Reizüberflutung wird es auch aus Sicht der Werbung immer schwieriger, eine Antwort zu geben, die auf Interesse stößt.

Wie würde die Botschaft lauten, wenn Sie eine jüdische Wochenzeitung an den Mann und an die Frau bringen müssten?
Vielleicht: »Leider erst seit 1946«. Oder man würde der Zeitung gleich einen neuen, auffälligen Namen geben wie »Die jüdische Wochenschau. Front-Berichte des deutschen Judentums«. Aber es kommt darauf an, welche Zielgruppe Sie ansprechen möchten. Wenn Sie zum Beispiel mich gewinnen wollten, der fast keine Berührungspunkte zum Judentum hat, dann müsste den Werbern schon einiges einfallen. Und klar ist auch: Es darf auf keinen Fall belanglos sein.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

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