Der Tagesspiegel, 14. März 2017

Findet Syriens Leid kein Ende?

Sechs Jahre Krieg haben Syrien zerstört. Hunderttausende sind ums Leben gekommen, Millionen auf der Flucht. Und Frieden ist nicht in Sicht.

Was als ein friedlicher Aufstand gegen Machthaber Baschar al Assad Mitte März 2011 begann, ist längst zu einem gnadenlosen Kampf vieler externer Mächte ausgeartet, die völlig gegensätzliche Interessen verfolgen. Sie haben ebenso wie die Terrormiliz „Islamischer Staat“, Al Qaida und andere Extremistengruppen das Land regelrecht gekapert. Das syrische Desaster hat damit eine Wucht und Dimension erreicht, die selbst Berufsoptimisten vom Glauben abfallen lässt.

Die Leidtragenden sind die Menschen. Frauen, Kinder und Männer müssen Unfassbares erdulden. Bombenhagel und Artilleriebeschuss, Anschläge und Scharfschützen – viele Syrer wissen nicht einmal, ob sie den nächsten Tag überhaupt erleben werden. Abertausende haben ihr Zuhause verloren. Wer es nicht über die Grenzen Richtung Jordanien, Libanon oder Türkei geschafft hat, irrt im Land umher, haust bestenfalls in behelfsmäßigen Notunterkünften und leidet häufig Hunger. Ohne die Unterstützung von Hilfsorganisationen kämen die meisten kaum über die Runden.

Aber bei Weitem nicht alle Bedürftigen können erreicht werden. Zwischen 700.000 und einer Million Menschen harren in belagerten Gebieten aus. Das heißt, die dort Gefangenen müssen ohne jede Unterstützung mit katastrophalen Zuständen fertig werden. Die Not ist mancherorts so groß, dass Kinder sich sogar wünschen, zu sterben und in den Himmel zu kommen, um endlich mehr essen und spielen zu können.

Die Heranwachsenden sind ohnehin schon jetzt die großen Verlierer des Krieges. Wer heute sechs Jahre alt ist, kennt nichts anderes als Gewalt und Elend, hat Schlimmes wie den Tod von Angehörigen und Freunden erlebt und traumatische Erfahrungen gemacht, die dauerhaft zu erheblichen psychosomatischen Problemen führen können. Das birgt die große Gefahr, dass eine ganze Generation „verloren“ geht und sich radikalisiert.

Denn auf eine bessere Zukunft können die meisten Kinder nach wie vor nicht hoffen. Vor allem, weil ihnen der Zugang zu Bildung und Wissen verwehrt ist. Millionen Mädchen und Jungen gehen nicht mehr zur Schule. Und das bereits seit Jahren. Sei es, weil ihre Eltern aus Angst vor gezielten Angriffen sie nicht gehen lassen. Oder weil Kinder arbeiten müssen, um zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen. Denn auch das prägt Syrien nach sechs Jahren Krieg: große Armut. Die Menschen verelenden immer mehr. Es gibt keine Jobs, sogar Lebensnotwendiges ist für viele unerschwinglich. Laut Experten liegt die Armutsrate mittlerweile bei bedrückenden 85 Prozent.

Dass sich in Syrien bald etwas zum Besseren wendet, gilt als sehr unwahrscheinlich. Assad hat mehrfach bekundet, keinesfalls auf seine Macht verzichten und möglichst das ganze Land zurückerobern zu wollen. Gelingen dürfte ihm das zwar nicht, aber klar ist: Der Herrscher in Damaskus und seine Soldateska sind seit der Schlacht um Aleppo wieder auf dem militärischen Vormarsch – vor allem dank der russischen und iranischen Verbündeten. Assads Gegner, unterstützt von Ländern wie Saudi-Arabien und der Türkei, wiederum geraten ins Hintertreffen. Ihnen bleiben nur noch wenige Regionen als Rückzugsgebiet.

Frust und Zweifel sind mitunter so groß, dass sich viele Aufständische sunnitischen Islamisten anschließen. Die religiösen Fundamentalisten verfügen nicht nur über einige Schlagkraft, sondern besitzen durchaus Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den verhassten Despoten Assad. Denn das gehört ebenfalls zu Syrien im Frühjahr 2017: Die Menschen fühlen sich von der Welt im Stich gelassen. Haben jede Hoffnung aufgegeben, dass ihr Leid und Dasein als Geiseln der Mächtigen bald endet.

Nicht zuletzt, weil alle bisherigen politischen Vermittlungsversuche sang- und klanglos scheiterten. Die Diplomatie findet einfach kein Beruhigungsmittel. Selbst die seit Ende 2016 geltende Waffenruhe wird immer wieder gebrochen. So bleibt Frieden für das geschundene Land ein unerfüllter Traum. Der Krieg geht ins siebente Jahr.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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