Der Tagesspiegel, 8. Januar 2018

Warum die Proteste im Iran böse enden könnten

Die Demonstrationen im Iran scheinen abzuflauen, das Regime erweist sich als stabil. Das verheißt nichts Gutes

Der Iran ist ein Rätsel. Was in der 1979 gegründeten Islamischen Republik passiert, scheint oft unvorhersehbar, unberechenbar und undurchschaubar. Kein Wunder, dass sich Beobachter mit Erklärungen – und vor allem Prognosen – so schwer tun.

Fragend wie staunend schaut man in diese Black Box und bekommt keine Antworten. Oder eben nur solche, die noch mehr Fragen aufwerfen. Vielleicht, womöglich, eventuell – das sind die gängigen Parameter für Analysen und Interpretationen.

Das gilt auch für die jüngsten Unruhen. Vor zehn Tagen begannen Tausende wie aus dem Nichts, landesweit auf die Straßen zu gehen. Sie protestierten gegen hohe Lebenskosten, gestrichene Subventionen und die interventionistische Außenpolitik des Regimes, die zig Millionen kostet, die dem verarmenden Volk entgehen.

Aber schon nach kurzer Zeit wurden die Forderungen der Demonstranten radikaler und damit für das Establishment heikel. „Wir wollen keine Islamische Republik“ war zu hören, oder „Tod dem Diktator“. Derartige Slogans gab es zuletzt 2009, als der „Grünen Bewegung“ und ihrer Forderung nach mehr Demokratie mit Gewalt ein blutiges Ende bereitet wurde.

Doch auch wenn die Mullahs von den regierungskritischen Kundgebungen kalt erwischt wurden: Ihre Herrschaft scheint stabil, ja, stabiler, als es sich die vielen erklärten Gegner der Machthaber erhoffen.

Es gibt weder Anzeichen für einen Regimewechsel noch für einen „persischen Frühling“, also einen wie auch immer gearteten massenhaften Aufstand gegen die Diktatur des Klerus. Die Theokratie könnte sogar gestärkt aus den Unruhen hervorgehen, die systemkonformen Reformer um Präsident Hassan Ruhani dagegen geschwächt werden.

Das hat strukturelle und mentale Ursachen. Den mittlerweile abflauenden Protesten fehlt vieles, was sich als ernsthafte Gefahr fürs System erweisen könnte. Es gibt weder ein gemeinsames Ziel noch jemanden, der lenkt und organisiert. Diese Nachteile hat das Regime von Anfang an konsequent ausgenutzt.

Überall waren sofort Sicherheitskräfte zu Stelle, um jeden Aufruhr zu unterdrücken – mit den brutalen, menschenverachtenden Methoden eines Repressionsapparats. Denn es galt, den Geist des Widerstands zu brechen. Dazu gehörte, die Menschen als Agenten ausländischer Mächte, als von Amerika und Israel gelenkte Feinde des Staates zu verunglimpfen. Dabei haben Menschen ihrem Unmut Luft gemacht, denen es vor allem um ihre eigene Misere geht.

Das wiederum fällt auf Ruhani zurück. Er hatte versprochen, dass sich nach dem Atomdeal und dem Wegfall vieler Sanktionen der Alltag der Menschen bessern würde. Passiert ist wenig. Was den politischen und religiösen Hardliner Gelegenheit gibt, den Präsidenten als Versager darzustellen.

Wohl wissend, dass Ruhani mehr und mehr Rückendeckung durchs Volk verliert. Auch weil viele Iraner vor Augen haben, dass sich die Welt um sie herum nach dem arabischen Frühling zum Schlechteren gewandelt hat. Zerfall im Irak, Krieg in Syrien, überall Terrorismus – das spielt jenen in die Hände, die dem Iran eine gewisse Beständigkeit bewahren. Und sei es mit harter Hand.

Ohnehin ist das freundliche Lächeln Ruhanis eine Art Blendwerk. Versöhnlich, gesprächs- und kompromissbereit, so gibt sich der Präsident. Und so wünscht sich der Westen den Iran. Doch die Realität sieht anders aus. Ruhani ist alles andere als ein lenkender Staatschef, sein Einfluss vielmehr arg begrenzt.

Das Sagen haben Fundamentalisten um Ajatollah Ali Chamenei und die paramilitärischen Revolutionsgarden. Sie bestimmen, wo es lang geht, halten wenig von Reformen und noch weniger vom Atomdeal. Der gilt ihnen als Verrat an der Revolution. Sofort aufkündigen – da sind Irans Hardliner auf Donald Trumps Linie.

Doch ein Ende des Abkommens würde bedeuten, dass Irans Herrschende nach Gutdünken Konflikte in der Region schüren und im Innern die Reihen schließen können. Proteste gegen Willkür und für mehr Freiheit wären damit wohl auf absehbare Zeit Geschichte.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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