Der Tagesspiegel, 15. Mai 2018

Doppelte Botschaft

Mit viel Tamtam zieht die US-Botschaft nach Jerusalem. Zur gleichen Zeit eskaliert die Gewalt am Gazastreifen. Chronologie eines besonderen Tages

Persönlich ist Donald Trump nicht angereist, per Videobotschaft wird er seine Grüße und Glückwünsche entrichten. Gespannt warten die 800 Ehrengäste, die an diesem Montag die Eröffnung der US-amerikanischen Botschaft in Jerusalem feiern, auf die Worte des Präsidenten. Dann erscheint Trump auf dem großen Bildschirm, spricht von einem „großen Tag für Israel“, sagt: „Unser größter Wunsch gilt dem Frieden. Wir strecken unsere Hand aus zu den Israelis, zu den Palästinensern und all ihren Nachbarn.“

Während im Jerusalemer Stadtteil Arnona unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen die Botschaftseröffnung zelebriert wird, eskaliert 60 Kilometer entfernt die Gewalt.

In Gaza stürmen Palästinenser Richtung Grenzanlage, Richtung Israel, viele werden von israelischen Soldaten erschossen. Nach israelischen Angaben beteiligen sich 40000 Menschen an den Unruhen, an zwölf Orten entlang der Grenzanlage kommt es zu Ausschreitungen.

Palästinenser hätten Brandbomben und explosive Gegenstände auf Soldaten geworfen, heißt es in einer Stellungnahme der israelischen Armee. Reifen seien in Brand gesteckt worden. Gegen Mittag steigt schwarzer Rauch in den Himmel. Die Zahl der Todesopfer steigt von Stunde zu Stunde, es ist der Tag mit den meisten Toten seit dem Gaza-Krieg 2014. Erst berichten die Nachrichtenagenturen mit Bezug auf palästinensische Quellen von zwei, dann von sieben, neun, 16, 28, 37. Am frühen Abend, die Zeremonie in Jerusalem ist längst vorbei, sollen es mindestens 52 Tote sein und mehr als 1700 Verletzte.

Der palästinensische Gesundheitsminister Dschawad Awad wirft Israel ein „Massaker an unbewaffneten Demonstranten“ vor. Israel beschuldigt die im Gazastreifen herrschende Hamas, sie nutze die Unruhen für Anschlagsversuche an der Grenze aus. Die Armee betont, sie schieße nur im Notfall und auch dann nur auf Beine. Gewarnt hatte das Militär mehrfach. Wer versuche, den Grenzzaun zu beschädigen oder Soldaten wie Zivilisten angreife, riskiere sein Leben.

Noch Montagfrüh werden Flugblätter über Gaza abgeworfen. Auf einigen steht: „Erlaube es der Hamas nicht, dich auf zynische Weise als ihre Marionette zu missbrauchen.“ Auf anderen: „Halte dich fern vom Sicherheitszaun, terroristischen Anführern und gewalttätigen Demonstranten.“ Und: „Rette dich selbst und setze lieber darauf, dir eine gute Zukunft aufzubauen.“

Schon am Morgen haben sich etliche Fernseh-Übertragungswagen in der Nähe der Botschaft im Jerusalemer Stadtteil Arnona positioniert. Generatoren brummen, neben den Fernsehteams haben Sicherheitsleute schwarze Tücher als Sichtschutz am Sicherheitszaun des bisherigen Konsulatsgebäudes angebracht. Vom Gelände dringt ab und zu eine Lautsprecherstimme – Tonproben für die Zeremonie.

„Interessant was? Haben wir hier sonst nicht so oft“, sagt Keren Levy. Sie ist Kosmetikerin und arbeitet gegenüber der Botschaft, das Geschäft ist so klein, dass drei Kundinnen darin Platz haben. Eben hat Levy noch Fingernägel lackiert, für eine Zigarette und einen Kaffee aus dem Pappbecher ist sie kurz herausgetreten und beobachtet nun die Vorbereitungen für diesen politisch so bedeutenden Schritt, der 9000 Kilometer entfernt von hier, in Washington, von US-Präsident Trump vor fünf Monaten entschieden wurde.

Während in Arnona noch alles ruhig ist, ist die Lage in Gaza bereits angespannt. Wegen eines Generalstreiks haben Geschäfte, Schulen und Universitäten geschlossen. Jugendliche verbrennen am Morgen Reifen auf Kreuzungen von Gaza-Stadt. Busse sammeln Menschen von den Straßen auf, um sie zur Grenze zu bringen. Über Moschee-Lautsprecher wird zur Teilnahme an den Massenprotesten aufgerufen.

Seit Wochen kommt es immer wieder zu schweren Unruhen. Palästinenser protestieren zum einen gegen den Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Zum anderen wollen sie gleichzeitig mit den Kundgebungen auf ein ihrer Ansicht nach historisches Unrecht aufmerksam machen – auf die Nakba, die Katastrophe.

Mit der Staatsgründung Israels vor 70 Jahren mussten schätzungsweise 750 000 Araber fliehen oder wurden vertrieben. Der Marsch auf die Grenze dient dazu, einem Anspruch sichtbaren Ausdruck verleihen: Palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachkommen sollen in das heutige Israel zurückkehren dürfen.

Keren Levy, die Kosmetikerin aus der Botschaftsnachbarschaft, weiß nicht, welche Auswirkungen der Umzug der Botschaft auf ihre vormals so ruhige Jerusalemer Gegend haben wird. „Mal schauen, ob es gut fürs Geschäft sein wird, im Moment kann man es noch nicht so richtig einschätzen.“

Noch läuft der Vormittag wie immer, erzählt sie. Sie – schwarze Bluse, schwarze Hose, die dunkelbraunen Haare sind am Hinterkopf zusammengesteckt – erzählt, die meisten ihrer Kunden kämen aus der Nachbarschaft und zu Fuß. Sie hätten also kein Problem, wenn Straßen hier abgesperrt würden. Andere Anwohner befürchten, dass Verkehrsprobleme zum Dauerzustand werden könnten. Keren Levy ist zuversichtlich: „In Tel Aviv hatten sie ja auch nicht ständig so viel Tumult rund um die Botschaft, oder?“

Jerusalem hat schon viel erlebt, an Umbrüchen, Aufständen, Staatsbesuchen aus dem Ausland. Aber Arnona? Anders als die Altstadt und das Zentrum, wo die Menschen den heiligen Stätten, den bedeutenden Plätzen besonders nah sein wollen und damit Krawalle, Proteste und auch Medienrummel gewohnt sind, ist Arnona ein verschlafener Stadtteil im Süden der Stadt. Wer hierher zieht, sucht Ruhe, Spielplätze für die Kinder, wenig befahrene Straßen mit genug Parkplätzen und eine Wohnung mit Balkon, vielleicht sogar mit Blick ins Tal – über das Botschaftsgebäude am Hang hinweg.

Das Gelände liegt auf der so genannten Grünen Linie zwischen West-Jerusalem und einem Gebiet, das manche als Niemandsland bezeichnen, das aber eigentlich ein Gebiet zwischen den Linien ist: Ein Streifen zwischen West- und Ost-Jerusalem, der im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens zwischen Jordanien und Israel 1949 wiederum in drei Sonderzonen aufgeteilt wurde, darunter eine israelische, die bereits damals besiedelt wurde – und in die das Gelände der Botschaft teilweise hineinragt. Bisher hat all das hier für die Anwohner keinen Ärger bedeutet. An diesem Montag aber platzt Trump in die Stadtrandidylle, in der Katzenkinder auf der Straße spielen, ein Specht gegen den Stamm einer Palme hämmert, vereinzelt Einwohner im Mini-Supermarkt der Nachbarschaft Milch und Joghurt besorgen.

Der US-amerikanische Botschafter in Israel, David M. Friedman, betont während der Zeremonie, viele Menschen hätten am Umzug der Botschaft mitgearbeitet. Man dürfe aber nicht vergessen, dass dieser besonders der „Vision und der Hingabe“ eines einzelnen Mannes zu verdanken sei: der von Donald Trump.

Trump hat seine Tochter und Beraterin Ivanka Trump und deren Ehemann Jared Kushner nach Jerusalem geschickt, auch Finanzminister Steven Mnuchin sowie der Nahostgesandte Jason Greenblatt gehören zur Delegation. Während Kushners Rede kommt es auch direkt vor dem Botschaftsgelände zu Ausschreitungen, die Polizei drängt Demonstranten ab. Ivanka Trump bleibt es vorbehalten, die symbolträchtigste Geste der Eröffnung der vollziehen: Gemeinsam mit Mnuchin zieht sie einen Vorhang zurück und enthüllt das Siegel der Botschaft.

Symbolträchtig war auch die Wahl des Umzugsdatums, des 14. Mai, nach gregorianischem Kalender der israelische Unabhängigkeitstag – ein Botschaftsumzug als Geburtstagsgeschenk. Er bleibt aber vorerst symbolisch: Nur ein kleiner Mitarbeiterstab wird in das bisherige Konsulatsgebäude ziehen, der große Rest bleibt in Tel Aviv, bis ein Neubau auf dem Gelände fertiggestellt wird, angeblich soll es Ende des Jahres soweit sein. In den kommenden Jahren soll dann an einem anderen Standort neu gebaut werden – wo und wann ist noch nicht klar.

Wie viele von Trumps Entscheidungen ist auch diese hier umstritten: Für die einen ist Trump ein Held, der wieder einmal ein Wahlversprechen einhält, eines, auf das vor allem seine evangelikalen, pro-israelischen Anhänger gesetzt hatten. In den Straßen Jerusalems wurden bereits in den Tagen zuvor US-Flaggen aufgehängt. Plakate mit der Aufschrift „Trump Make Jerusalem Great“ hat das „Friends of Zion Museum“ entlang der Straße, die zur neuen Botschaft führt, anbringen lassen. Auch in Arnona finden sich Befürworter: Vereinzelt haben Anwohner US-Flaggen an Balkone gehängt, an einer Dachterrasse im dritten Stock eines Gebäudes gegenüber dem Botschaftsgelände prangt ein Plakat mit der Aufschrift „Thank you Mister Präsident“.

Für die Gegner des Botschafsumzuges ist Trump hingegen ein Provokateur, der die Region in Unruhe versetzt. Denn der Status Jerusalems – israelische Pro-forma-Hauptstadt oder die tatsächliche – ist umstritten und soll laut internationaler Staatengemeinschaft erst im Zuge von Friedensverhandlungen geklärt werden.

Israel beansprucht ein ungeteiltes Jerusalem als Hauptstadt. Das haben die jüdischen Bewohner bereits am Vortag, am Jerusalem-Tag, nochmal deutlich gezeigt: Zur Feier der Eroberung des Ostteils während des Sechstagekrieges 1967 marschierten tausende Israelis wie jedes Jahr mit Flaggen durch Teile Ost-Jerusalems um und in der Altstadt. Die Palästinenser hingegen wollen zumindest Ost-Jerusalem als Hauptstadt ihres künftigen Staates.

Auch deshalb haben die anderen in Israel vertretenen Länder ihren Botschaftssitz bislang in und um Tel Aviv gewählt. Auch die EU lehnt einen Umzug ab und hatte geplant, den Schritt der Amerikaner zu verurteilen. Doch Ungarn, Tschechien und Rumänien blockierten eine entsprechende Resolution. Zusammen mit Österreich waren ihre Abgesandten die einzigen Vertreter aus der EU, die beim Gala-Empfang im Außenministerium am Vorabend in Jerusalem dabei waren. Insgesamt hatten 33 der 86 geladenen Landesvertreter die Einladung angenommen.

Und auch in Arnona finden sich Gegner des Umzugs: Manche fühlen sich missbraucht, als Spielball weltpolitischer Interessen. Dass für den Botschaftsumzug auch eine neue Straße als Fluchtroute gebaut wird und eine mindestens drei Meter hohe Mauer den bisherigen Sicherheitszaun ersetzen soll, stört manche hier. Sie hatten in den Wochen zuvor versucht, mit einer Petition beim Obersten Gerichtshof den Bau aufzuhalten – und damit den Botschaftsumzug zu riskieren. Doch das Gericht lehnte ab.

„Normalerweise hätten Anwohner im Vorfeld über die Baumaßnahmen informiert werden müssen. Nun wurde alles hinter unseren Rücken entschieden“, sagt Daniel Jonas, einer der Anwohner, der die Petition mit eingereicht hatte. Es hatte eine Sondergenehmigung gegeben, die Straße ist weitgehend fertig

Auf der Elyahu-Lankin-Straße nördlich der Botschaft verwandelt sich die Nachbarschaft gegen Nachmittag nach und nach zu einer Demonstrantenzone. „Haben wohl alle frei heute“, sagt eine Anwohnerin im Vorbeigehen. Von hier aus sieht man auf die andere Seite des kleinen Tals, bis zu den Flaggen auf der Straße, die zur Botschaft führt.

Dutzende Pro-Israel- und Pro-Trump-Anhänger strömen nach und nach hierher, mit Israel- und US-Flaggen, mit Trump-T-Shirts und -Schirmmützen, jüdisch-orthodoxe junge Männer sind darunter und Christen aus den USA, wie der Baptistenpfarrer Albert Nucciaroni aus New Jersey. „Gott hat mich vor zehn Jahren hierhergeführt, ich wohne hier ganz in der Nähe“, sagt er. „Trump tut das richtige. Gott hat Israel als ewige Hauptstadt des jüdischen Volkes geschaffen.“

Im Hintergrund beginnt eine Gruppe junger Nationalreligiöser im Kreis zu tanzen. „Am Israel Chai“ singen sie. Das jüdische Volk lebt. Dann stimmen sie die US-amerikanische Nationalhymne an. Doch auch die Umzugskritiker haben sich unter die Menschen hier gemischt.

Am Montag sind rund 1000 Polizeibeamte rund um die Botschaft im Einsatz, am Nachmittag müssen sie eingreifen. Hunderte arabische Demonstranten ziehen in Richtung der US-Vertretung, „Al Quds ist die Hauptstadt Palästinas“ steht auf ihren Plakaten, sie trommeln und rufen auf Arabisch. Die Polizei greift sofort ein, reißt ihnen die Palästina-Flaggen und Plakate aus der Hand, drängt die Menge zurück, nimmt Demonstranten fest. „Buscha“, ruft die Menge, Schande. Auf der anderen Seite klatschen ein paar Pro-Trump-Demonstranten, als ein Palästinenser von der Polizei abgeführt wird. Und von den Wohnhäusern nebenan spritzt ein Mann mit dem Wasserschlauch auf die arabischen Demonstranten.

Auf dem Botschaftsgelände ist jetzt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf das Podium getreten. „Was für ein glorreicher Tag!“, ruft er ins Mikrofon. „Erinnert euch an diesen Tag! Dies ist Geschichte!“

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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