Der Tagesspiegel, 7. Januar 2020

„Teheran will keine unkontrollierte Eskalation“

Guido Steinberg über die Lage am Golf, die Macht der Mullahs und die Proteste im Land

Herr Steinberg, die Iraner attackieren als Vergeltung für die Tötung von General Soleimani US-Stützpunkte im Irak mit Dutzenden Raketen. Wie bewerten Sie Teherans Gegenschlag?

Der Angriff der Iraner kommt sehr rasch, zeigt aber den Wunsch Teherans, eine unkontrollierte Eskalation zu vermeiden. Trifft es zu, dass keine Amerikaner zu Schaden gekommen sind, ist es möglich, dass die USA auf einen Gegenschlag verzichten. Beide Seiten könnten ihrer Klientel dann suggerieren, vorerst genug Stärke gezeigt zu haben.

Millionen Iraner haben Abschied von General Soleimani genommen, viele skandierten beim Trauerzug „Tod Amerika“ – ganz im Sinne des Regimes. Steht das Land geschlossen hinter den Mullahs?

Nein! Es gibt im Land in unregelmäßigen Abständen große Kundgebungen gegen das Regime. Die Menschen machen ihrem Unmut über die schlechten wirtschaftlichen Lebensbedingungen und die Korruption Luft. Das zeigt in aller Deutlichkeit: Im Iran herrscht eine ausgeprägte Unzufriedenheit. Es geht dabei nicht allein um die Wirtschaftspolitik, sondern generell um das System der Islamischen Republik, das mehr und mehr infrage gestellt wird. In gewisser Weise ist es tragisch, dass die Debatte über die Proteste mit mehreren Hundert Toten jetzt verdrängt wird von einer über General Soleimanis gewaltsamen Tod.

Kommt der tödliche US-Angriff dem Regime zupass, um mithilfe einer patriotischen Stimmung von den Problemen des Landes abzulenken?

Auf jeden Fall. Das Regime betont immer, dass auf den Straßen nicht etwa aufgebrachte und verzweifelte Iraner protestieren, sondern Handlanger der Amerikaner und Israelis. Es sei daher ein Akt des nationalen Widerstands diesen Aufruhr niederzuschlagen. So ähnlich argumentierte Teheran auch bei den Unruhen im Irak und im Libanon in den vergangenen Monaten. Die dortigen Proteste richteten sich ja ebenfalls zum Teil gegen den Iran und seinen Einfluss in den beiden Ländern. Mit dem Militärschlag gegen Soleimani haben die Amerikaner dieser Propaganda zumindest ein klein wenig Glaubwürdigkeit verliehen. Das ist sehr bedauerlich. Denn das eigentliche Problem im Iran, im Irak und im Libanon sind schlechte Regierungen, die die Länder aussaugen und sich nicht um die Nöte der Bevölkerung kümmern.

Die Herrscher in Teheran können wieder auf das Feindbild Amerika setzen?

In gewisser Weise war der Anschlag auf Soleimani ein Geschenk an die Kleriker und ihre Militärs. Die Iraner haben in den vergangenen Monaten weniger über die USA und die Sanktionen geredet, sondern zumeist über Korruption und Misswirtschaft. Beides hat maßgeblich zur miserablen ökonomischen Situation des Landes beigetragen. Das ist in den Hintergrund geraten. Der Herrscherclique fällt es jetzt viel leichter, ihre Sichtweise zu vertreten: dass das Ganze eine von Washington inszenierte, konzertierte Kampagne ist.

Die Mullahs müssen also derzeit nicht um ihre Macht fürchten?

Der Iran ist zweifellos ein autoritäres Regime – solche werden generell oft von großer Furcht vor dem eigenen Sturz geleitet. Aber seit den Protesten der sogenannten Grünen Bewegung von 2009 hat sich die Paranoia der Herrschenden im Iran verschärft. Die Nervosität bei Revolutionsführer Ali Chamenei und seinen Gefolgsleuten ist enorm, wie sich an ihrer brutalen Reaktion auf die jüngsten Proteste im November 2019 zeigte. Sie fürchten um ihre Herrschaft. Doch das scheint mir derzeit übertrieben.

Warum?

Die Machthaber können sich nach wie vor auf die Loyalität der Revolutionsgarden, der von ihnen kontrollierten Basidsch-Milizen und weiterer Sicherheitskräfte verlassen. Das reicht aus, um den Iran zu kontrollieren – egal, wie katastrophal die Lage im Land ist. Und egal, wie häufig die Menschen auf die Straßen gehen. Die Proteste werden im Zweifelsfall einfach mit brutaler Gewalt niedergeschlagen.

Lässt das die Opposition zumindest vorerst verstummen?

Das muss man wohl so sehen. Ich bewundere ohnehin den Mut der Leute, die es ungeachtet der Repression wagen zu protestieren. Denn sie riskieren ja ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Freiheit. Das zeigt, wie groß der Wunsch nach Veränderung ist. Viele Iraner glauben nicht mehr daran, dass das System des Gottesstaats reformierbar ist.

Ein Umsturz zeichnet sich dennoch nicht ab, oder?

Revolutionsführer Ali Chamenei nutzt mit großem Geschick seine Hausmacht. Und auch in einem Land mit mehr als 80 Millionen Einwohnern reicht eine gewisse Zahl an Sicherheitskräften aus, um die Kontrolle aufrechtzuerhalten – sofern diese Kräfte entschlossen sind, bis zum Äußersten zu gehen. Vor allem die Revolutionsgarden und die Basidsch-Milizen, sind seit 2009, als sie damalige Proteste niedergeschlagen haben, sehr viel mächtiger geworden. Sie stehen fest und geeint hinter dem Regime.

Reicht dieses Herrschaftskonstrukt aus, um den USA längerfristig Paroli zu bieten?

Das System der Islamischen Republik und ihre Repräsentanten graben sich ein. Sie haben bereits mehrfach heftige Proteste überstanden. Und ich gehe davon aus, dass das in den nächsten Jahren so bleibt.

Was macht Sie so sicher?

Egal, wie sehr sich die Einnahmen des Regimes verringern werden – die Mittel werden weiter ausreichen, um die Hausmacht zu sichern. Im Iran gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Herrschaft der Regierenden bröckelt. Das Regime wirkt stabil.

Welche Folgen könnte das für die Konfrontation mit den USA haben?

Ich glaube, dass es zu keiner großen militärischen Auseinandersetzung kommt. Die Führung in Teheran will sie auf jeden Fall nicht. Die Politiker und die Militärs wissen genau, dass sie gegen die USA nicht bestehen können. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht Trump. Der will auch keinen Krieg. Denn dann würde der Präsident viel mehr Soldaten in die Region schicken müssen und damit sein Wahlversprechen brechen.

Ist Trumps Anti-Kriegs-Haltung nicht ein immenser Vorteil für die Mullahs?

Soleimanis gezielte Tötung war für Donald Trump eine Art Mittelweg. Ihm wurde Schwäche nachgesagt, weil er militärische Antworten auf Irans Provokationen schuldig blieb. Deshalb gab es wohl diesen sehr risikobelasteten Angriff auf Soleimani. Der US-Präsident konnte so Stärke demonstrieren, ohne direkt in den Krieg zu ziehen.

Ist das die Hintertür für Verhandlungen mit Teheran?

Der Iran ist nicht Nordkorea. Das Regime wird wohl kaum verhandeln, wenn es von amerikanischer Seite keine substanziellen Zugeständnisse gibt. Die Führung hat übrigens taktisch sehr klug gehandelt, als sie jetzt das Atomabkommen zwar inhaltlich aufgekündigt hat, jedoch noch nicht formal. Damit setzen sie die Amerikaner wieder unter Zugzwang. Denn die USA müssen reagieren, wenn der Iran die Urananreicherung ausbaut und damit einer Atombombe wieder näher rückt.

Und was sollten die Europäer jetzt tun?

Sie tun gut daran, sich endlich von der Illusion zu verabschieden, der Atomvertrag könne auch ohne die USA funktionieren. In der Praxis war das Abkommen immer eines zwischen Amerika und dem Iran. Mit der Aufkündigung durch Trump im Mai 2018 war die Übereinkunft tot. In nächster Zeit wird es wie vor 2015 wieder darum gehen zu verhindern, dass Iran die Fähigkeit entwickelt, Atomwaffen herzustellen.

Droht jetzt ein nukleares Wettrüsten in der Region?

Vermutlich. Die Iraner werden alles daransetzen, um sich atomar zu bewaffnen. Das Beispiel Nordkorea zeigt: Ein Regime, das über die Bombe verfügt, kann sich seiner Herrschaft recht sicher sein. Und ich bin überzeugt, Saudi-Arabien plant ohnehin längerfristig, Atommacht zu werden.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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