Der Tagesspiegel, 16. April 2020

General ohne Schneid

Benny Gantz ist an Benjamin Netanjahus Machtbewusstsein gescheitert

Die Frage stellt sich seit Langem. Aber die Antwort steht nach wie vor aus – auch wenn sie von großem Gewicht ist für ein Land, das von tiefen politischen Gräben durchzogen ist und zugleich mit der Corona-Pandemie zu kämpfen hat: Wann bekommt Israel eine tragfähige Regierung? Eine, die Stabilität in unsicheren Zeiten verheißt. Eine, die den Namen „Einheit“ verdient. Eine, die inmitten des seuchenbedingten Notstands den Menschen Zuversicht vermittelt.

Nun, das wird dauern, wenn es überhaupt gelingt. Denn das politische Establishment kreist um sich selbst, hat sich im Machtgerangel verfangen. Egoismen dominieren, wo Kompromissbereitschaft und Koalitionswillen gefragt ist. Und wenn sich die Kontrahenten wieder mal ineinander verkeilt haben, dann soll der Wähler es richten. Die Krise im jüdischen Staat? Ein Dauerzustand.

Auch dem jetzt von Präsident Reuven Rivlin beauftragten Parlament dürfte es kaum gelingen, einen aus ihren Reihen zu finden, der eine Regierung zustande bringt. Denn dafür kommen im Grunde nur Premier Benjamin Netanjahu mit seiner rechtsnationalen Likud-Partei oder Herausforderer Benny Gantz und sein Mitte-Bündnis namens Blau-Weiß infrage.

Aber beide verfügen eben nicht über eine ausreichende eigene Mehrheit in der Knesset. Eine große Koalition drängt sich deshalb als naheliegende Option auf. Doch bisher sind alle Versuche gescheitert, eine gemeinsame Basis zu finden. Der eine fühlt sich stark genug, um unbeirrt weiterzumachen. Der andere ist zu schwach, um dem Platzhirsch ernsthaft Paroli zu bieten.

Dabei hatte es Gantz in der Hand, eine Koalition auf die Beine zu stellen, die Netanjahu das Amt hätte kosten können. Daran ist der Ex-General allerdings krachend gescheitert. Zum einen fehlte es ihm schlicht an Erfahrung.

Israels Parteiensystem ist nicht nur zersplittert, sondern inhaltlich kaum auf einen Nenner zu bringen. Politische Absprachen gehorchen speziellen Gesetzmäßigkeiten, die oft undurchschaubar und deshalb schwer zu handhaben sind. Zumal, wenn man – wie Gantz – ein Neuling in dem Geschäft ist.

Zum anderen fehlt dem früheren Armeechef offenbar der notwendige Schneid, um neue Weg zu gehen. Zum Beispiel, ein Bündnis mit den arabischen Parteien zu wagen. Und ihm mangelt es an Chuzpe, politische Gegner mit Angeboten und Versprechen auf seine Seite zu ziehen. Auf diese Kunst des Spaltens versteht sich Netanjahu bestens. Sie gehört zu seinen Lieblingsdisziplinen.

Gantz dagegen mag mit seinem konzilianten Auftreten zwar einen Kontrapunkt zum autoritären Stil des Dauer-Ministerpräsidenten setzen – punkten kann er damit im gnadenlosen Polit-Geschäft nicht. Vielmehr wird ihm das als Schwäche ausgelegt. Nicht gerade eine Tugend, wenn es ums Regieren geht. Aber damit hat es sich für Gantz wohl ohnehin erledigt. Denn ihm ist ein fataler strategischer Fehler unterlaufen.

Im Namen des Landeswohls hat er sich von seinem zentralen Wahlversprechen verabschiedet: Es wird keine Koalition geben mit einem Premier, der unter Korruptionsverdacht steht und sich deshalb vor Gericht verantworten muss.

Daran hat sich der frühere Militär nicht gehalten, sondern im Namen des Corona-Notstands in Verhandlungen mit Netanjahu eingewilligt.

Das haben ihm einige seiner Parteikollegen übelgenommen und die Gefolgschaft aufgekündigt. Und genauso werden es wohl seine enttäuschten Wähler bei der nächsten Abstimmung handhaben.

Netanjahu wiederum erweist sich wieder einmal als politischer Überlebenskünstler und erfolgreicher Macht-Zocker. Ihm gelingt es als gewiefter Amtsinhaber, seinen viel unerfahreneren Rivalen vor sich herzutreiben. Er bestimmt die Agenda, führt den Kontrahenten schmerzhaft vor Augen, wie man aus Kaltschnäuzigkeit und Härte Dominanz generiert.

Dabei kommt ihm nicht zuletzt die Pandemie zugute. Netanjahu gibt den erfolgreichen Krisenmanager. Und die Israelis scheinen das ähnlich zu sehen. In Umfragen kann sein Likud deutlich zulegen, Gantz’ Bündnis Blau-Weiß büßt dramatisch an Zustimmung ein. Wenn sich diese Tendenz verfestigt, kann der Premier der nächsten Wahl gelassen entgegenblicken.

König Bibi nennen ihn seine Anhänger. Und so wie es aussieht, wird Netanjahu nicht abdanken müssen.


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Dr. Christian Böhme
Journalist

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