The European, 23. Februar 2012

Gegen-Gauck gesucht

Die Linke ist zu Recht zornig auf die Kanzlerin. Ein Konsenskandidat wäre Gauck nur dann, wenn alle im Parlament vertretenen Parteien befragt worden wären

Da schau einer an, die Linkspartei macht auf beleidigte Leberwurst. Fies und gemein sei die Kanzlerin. Überheblich, selbstherrlich und pflichtvergessen. Gregor Gysi und seine Fraktionsgenossen bei der Auswahl eines Nachfolgers für Christian Wulff einfach so außen vor zu lassen, ja bewusst zu ignorieren – empörend. Mit den Grünen und Sozis gemeinsame Sache machen und hinter verschlossenen Türen Joachim Gauck küren, das ist schon schlimm genug. Aber die Linken, im Osten der Republik immerhin so etwas wie eine Volkspartei, nicht mal eines Wortes zu würdigen, geschweige denn dieses Vorgehen irgendwie zu rechtfertigen, da muss man doch vor Wut in die Luft gehen.

Ach ja, die Linkspartei fühlt sich ausgegrenzt und missachtet. Mal wieder. Also kein Grund zur Aufregung. Das kennen wir schon zur Genüge. Mit solchen Sätzen könnte man die Empörung milde lächelnd als Rumpelstilzchen-Gehabe abtun. Das Problem ist nur: Dieses Mal ist die Kritik an Angela Merkel mehr als berechtigt. Denn das Prozedere ist ein kleiner Skandal. Wer das Wort „Konsenskandidat“ in den Mund nimmt, um dem künftigen deutschen Staatsoberhaupt eine breite Basis im Parlament und vor allem in der Bundesversammlung zu sichern, der muss seinen Worten Taten folgen lassen. Dazu gehört nun mal, alle im Bundestag vertretenen Parteien – und sei es nur pro forma – im Kanzleramt zu versammeln, einschließlich der Linken. Alles andere zeugt von mangelndem Verständnis für demokratische Gepflogenheiten.

Nun mag man einwenden, dass bei der Linkspartei einiges ziemlich im Argen liegt. Und das stimmt. In ihren Reihen gibt es sehr wohl extremistische Tendenzen, Mitglieder, die diesem Staatswesen militant-ablehnend gegenüberstehen und deshalb ein Fall für den Verfassungsschutz sind. Zudem machen immer wieder Genossen von sich reden, denen ihr politischer Kompass offenkundig abhandengekommen ist: Mal hofieren sie die Terroristen der Hamas als „Freiheitskämpfer“, mal bekunden sie Sympathie für einen Schlächter wie Syriens Assad. Ganz abgesehen davon, dass die Linkspartei sogar in Zeiten entfesselter Finanzmärkte inhaltlich nichts Relevantes zu bieten hat.

Doch all dies reicht nicht aus, Gysi und Co. gerade in diesem besonderen Fall mit demonstrativer Herabsetzung zu strafen. Der Kür eines Bundespräsidenten kam nach dem Wulff-Desaster deutlich mehr Bedeutung zu, als beispielsweise der 23. Neufassung irgendeines Steuergesetzes. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sollten wiederhergestellt werden, möglichst einvernehmlich. Aber wie kann das gelingen, wenn eine der sechs im Bundestag vertretenen Parteien auf die Zuschauerbank verbannt wird? Eine zugelassene Partei, die bei der letzten gesamtdeutschen Wahl auf fast zwölf Prozent der Stimmen kam.

Vize-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat schon recht: Die Kanzlerin grenzt mit ihrem Vorgehen fünf Millionen Menschen in diesem Land aus. Mit Verlaub, so geht es nicht. Angela Merkel hätte gut daran getan, als Vorbild Größe zu zeigen. Gerade im Osten der Republik werden sich jetzt viele Bürger in ihrem Argwohn gegenüber dem „System“ bestätigt sehen. Das könnte fatale Folgen für die ohnehin nur dürftig vorhandene Akzeptanz der Demokratie haben.

Dennoch: Will die Linkspartei ernst genommen werden, muss sie raus aus der Schmollecke. Dazu gehört, einen respektablen Gegenkandidaten für Joachim Gauck zu präsentieren. Und warum nicht die Piraten dabei mit ins Boot holen? Mal sehen, was beide gemeinsam zustande bringen. Vielleicht zaubern sie ja eine Persönlichkeit hervor (bitte keinen Tatort-Kommissar oder Kabarettisten!), die das Zeug hat, Angela Merkel und ihre ganz große Koalition etwas in Verlegenheit zu bringen. Das wäre allemal besser, als die beleidigte Leberwurst zu geben. Weil die Bundesversammlung dann wenigstens eine Wahl hat.

Und die Kanzlerin? Sie hat zwar schon an der ihr aufgedrängten Entscheidung für Gauck ordentlich zu knabbern. Doch das ist kein Grund, sie zu schonen. Merkel ist an ihrem eigenen Konsensanspruch gescheitert. Warum hat sich die Regierungschefin nicht mehr Zeit gelassen? Warum hat sie eine Partei und deren Wähler derart brüskiert? Misst sie dem Amt des Bundespräsidenten womöglich keine große Bedeutung bei? Kann sein. Schließlich soll im politischen Alltag alle Macht möglichst von ihr ausgehen. Aus Sicht eines Großkalibers vom Schlage Merkel mag diese Haltung verständlich sein. Aber das ändert nichts daran: Der parlamentarischen Demokratie hat sie bei der Inthronisation des neuen Herrn von Schloss Bellevue einen schlechten Dienst erwiesen.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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