Kunst und Film, 28. Februar 2012

Vergebt ihr!

Meryl Streep brilliert in "Die eiserne Lady". Doch das Filmporträt der britischen Premierministerin Margaret Thatcher lässt zu viel politische Milde walten

Diese Frau ist mächtig, stark und will herrschen – um jeden Preis. Eine Kämpfernatur, für die nur das Siegen zählt. Ausdauer und Skrupellosigkeit gehören ebenso zu ihren Eigenschaften wie Willensstärke und Entschlossenheit. Stur, überheblich und rücksichtslos, bar jeder Empathie macht sie sich ans Werk: den Staat umzukrempeln. Von ihren Anhängern wird sie dafür bewundert, bei ihren Gegnern ist sie verhasst. Eine knallharte Politikerin, aufgestiegen aus einfachen Verhältnissen, die alles an sich abprallen lässt: eine eiserne Lady.

Und dann das! Die ersten Minuten in Phyllida Lloyds Biopic über das Leben der Margaret Thatcher zeigen eine gebrechliche alte Dame. Schwach wirkt sie; hilfsbedürftig und unsicher. Ihr Geisteszustand hat gelitten. Eine Demenzkranke, der regelmäßig in Halluzinationen ihr längst verstorbener Ehemann Denis (beeindruckend: Jim Broadbent) erscheint, mit dem sie sich in Gedanken austauscht.

Die ehemalige britische Premierministerin – ein Mitleid erregender Pflegefall, dem nur Einsamkeit geblieben ist. Und die Erinnerung an glorreiche alte Zeiten. So wohlwollend nähern sich Regisseurin Phyllida Lloyd und Drehbuchautorin Abi Morgan dieser polarisierenden Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Am Ende steht das schillernde Porträt einer Frau, die elf Jahre lang die Geschicke Großbritanniens leitete: In Rückblenden erfrischend abwechslungsreich und elegant erzählt, mit einer zumindest fragwürdigen politischen Botschaft und einer überragenden Meryl Streep.

Die US-Schauspielerin, zu Recht soeben für ihre Rolle mit einem Oscar ausgezeichnet, spielt Margaret Thatcher bis ins kleinste Detail perfekt. Gestik, Mimik, Sprache – alles wirkt stimmig. Mal ist sie tough: eine vor Selbstbewusstsein strotzende konservative Regierungschefin, die ihren Kabinetts-Kollegen belehrend über den Mund fährt oder Großbritanniens Empire auf den fernen Falkland-Inseln verteidigen will. Ein anderes Mal wiederum gibt sie überzeugend die empfindsame, nachdenkliche Politikerin, der vor allem eines wichtig ist: dass das Leben etwas bedeuten muss. Diese verstörende Mischung aus Tatkraft und Verblendung, die Thatchers Außenseiter-Karriere prägte – Streep verkörpert sie bravourös.

Eine völlig andere Frage ist die nach der Authentizität. Entspricht die eiserne Lady im Film der realen Margaret Thatcher? Es fällt auf, dass Regie und Drehbuch auf jede Form der Dämonisierung verzichten. Das ist wohltuend, weil bestimmte Abwehr-Reflexe nicht bedient werden, birgt aber auch die Gefahr der Verklärung in sich.

Lloyd und Morgan bringen ihrer Figur viel Empathie entgegen, vielleicht zu viel. Wir bekommen fast zwei Stunden lang eine Frau präsentiert, die immer nur das Beste für ihr Land wollte und ihre ganzes Leben diesem Wunsch unterordnete. Eine Suchende, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verkrustungen aufzubrechen versuchte. Eine Überzeugungstäterin, die sich nicht vom Weg abbringen ließ. Eine Kabinettschefin, die schließlich von ihren eigenen (männlichen) Gefolgsleuten verraten wurde.

Diese Sichtweise mag nicht gänzlich falsch sein, sie blendet jedoch die Schattenseiten des Charakters von Margaret Thatcher weitgehend aus. Zugegeben: Der Film verschweigt nicht, dass in den 1980er Jahren ihr neoliberaler Wirtschaftskurs und radikaler sozialer Kahlschlag für Empörung im Parlament und auf den Straßen sorgten. Doch die Proteste bleiben stets kurze Episoden; Doku-Aufnahmen werden mit historischer Punk-Musik unterlegt. Das Gleiche gilt für den Terror der IRA. Beides fällt kaum ins Gewicht, wenn es um die Gesamtbeurteilung der heute 87-Jährigen geht. Übrigens wird Thatchers unrühmliche Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands nicht einmal erwähnt. Alles wirkt glatt gebügelt.

Kein Wunder, dass dieses Film-Porträt Großbritannien spaltet. Die einen freuen sich darüber, dass einer oft Geschmähten endlich Gerechtigkeit widerfährt. Die anderen erregen sich über die Distanzlosigkeit. Und an diesem Vorwurf ist etwas dran. Denn Thatchers Kategorisierung aller Menschen in wertvoll und wertlos hatte etwas Darwinistisches. Ihre Besteuerung aller Bürger – selbst der Mittellosen – war dazu angetan, die Kluft zwischen Armen und Reichen zu zementieren. Ihr Umbau des britischen Gesundheitswesens bedeutete quasi dessen Abschaffung. Diese Wunden schmerzen viele Briten bis heute. Der ideologische Klassenkampf ist nicht vergessen.

All diese Verletzungen kommen im Film zu kurz. Er lässt lieber Milde walten. Schließlich ist die eiserne Lady heute nur noch eine bedauernswerte alte Dame, der allein die Erinnerung bleibt. Eine, die zusehends verblasst.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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