The European, 31. Mai 2012

Sie hat fertig

Es gibt viele Themen für die Linkspartei. Doch sie ergeht sich lieber in internen Machtkämpfen und befördert damit ihre Bedeutungslosigkeit

Links zu sein, was heißt das eigentlich heutzutage? Woraus besteht im 21. Jahrhundert der Wesenskern dieser politischen Weltanschauung? Inwiefern unterscheidet sie sich ideologisch von anderen? Auf solch große Fragen geben Anhänger und Aktivisten gemeinhin geradezu simpel anmutende Antworten.

Da ist zum einen der ewige Wunsch nach Gerechtigkeit. Dazu gehört in kapitalistischen Zeiten eine realistische Antwort auf die soziale Frage. Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher – mit einem linken Gewissen ist das schwerlich vereinbar. Also braucht es zumindest Chancengleichheit und die staatliche Kontrolle eines entfesselten Finanzmarktes. So könnten die herrschenden Verhältnisse zwar nicht überwunden, aber verbessert werden. Zum anderen hält ein Linker stets das Banner des Pazifismus wacker und unerschrocken in stürmische Höhen. Krieg, Imperialismus und Unterdrückung anderer Völker sind ihm ein Graus. Hört die Signale, auf zum Friedensgefecht!

Das klingt alles in allem zwar recht utopisch, aber dennoch irgendwie angenehm verheißungsvoll nach einer vielleicht besseren Welt. Und was macht die Partei, die ihre politische Ausrichtung schon im Namen trägt, aus dieser für sie im Prinzip günstigen Ausgangslage? Rein gar nichts. Ach, weniger als nichts. Denn links zu sein, heißt für die Linkspartei derzeit, ein klägliches Bild abzugeben: Führungsstreit, Grabenkämpfe, Personenkult und Abspaltungstendenzen – die Spitzen-Genossen sind allein mit sich beschäftigt, dreschen aufeinander ein oder bezichtigen sich gegenseitig des Verrats an der reinen Lehre.

Der Parteitag in Göttingen am kommenden Wochenende wird da keine Ausnahme machen, auch wenn alle alles daransetzen werden, einen auf Harmonie und Eintracht zu machen. Vielleicht gelingt es ja sogar, für kurze Zeit die existenzbedrohenden Konflikte zwischen Ost und West, Reformern und Fundamentalisten, Pragmatikern und Radikalen zu deckeln. Doch das ändert nichts am grundsätzlichen Problem: Die Idee einer politischen Kraft als Gewissens-Korrektiv der SPD ist Vergangenheit, zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung kaum mehr als eine leere Hülle. Die Linkspartei hat fertig.

Sie ist dabei weniger an den herrschenden Verhältnissen als vielmehr an sich selbst gescheitert. Ego-Shooter à la Oskar Lafontaine haben über Jahre ihre ganze zerstörerische Kraft entfalten können. Fataler noch, weil inhaltlich an die Substanz gehend: Der Partei, die sich links wähnt, mangelt es an programmatischen Antworten auf grundlegende gesellschaftspolitische Fragen.

Es ist ja nicht so, dass es keine „linken“ Themen in dieser Republik gäbe. Euro-Krise, Bankenmacht, schrankenloser Kapitalismus, Mindestlohn oder Betreuungsgeld – das sind Diskussionen, in denen eine inhaltlich glaubhafte linke Stimme sicherlich Gehör finden würde. Doch kein Laut ist zu vernehmen. Nur interner Zank und Missmanagement. Wer so mit sich und seinen Wählern umgeht, steigt unweigerlich ab, wird (wenn überhaupt) zur bloßen Regionalpartei und endet schließlich in der Bedeutungslosigkeit.

Und wie reagieren die Genossen auf den hausgemachten Niedergang? Mit teilweise dummdreisten Einfältigkeiten. Hier ein Glückwunsch an den kubanischen Genossen Fidel Castro, da eine Soli-Aktion für den syrischen Despoten Baschar al Assad. Und um das Ganze ein wenig aufzulockern, gibt’s für die kopfschüttelnden Bürger ein paar neue Runden im Gerangel um Posten und Einfluss. Von mühsamer, gleichwohl bodenständiger Oppositionsarbeit keine Spur. Dabei ist diese Aufgabe dringender denn je. Fiskalpakt, Euro-Bonds, Afghanistan-Einsatz – es gibt einige Gründe, den Regierenden auf die Finger zu schauen und gegebenenfalls auf selbige zu hauen.

Womöglich scheut die Linkspartei ja die Auseinandersetzung, weil sie weiß, wie inhaltlich ausgezehrt sie inzwischen dasteht. Sie hat einfach keine Vorstellung davon, was sie dem wandlungs- und anpassungsfähigen Kapitalismus entgegensetzen kann. Stattdessen verschwendet sie den Rest der noch verbleibenden Energie lieber darauf, sich selbst zu zerfleischen. Draußen, vor den Türen des Bundestags und der Länderparlamente, machen die Empörten und Enttäuschten derweil ihrem Unmut über die Finanzmärkte lauthals Luft. Wer braucht dafür noch eine Linkspartei?

Vielleicht sollten die Genossen endlich einen Ratschlag ihrer Über-Mutter beherzigen. Rosa Luxemburg hatte nämlich empfohlen, sich und sein eigenes Tun immer wieder kritisch zu hinterfragen: „Rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung.“ Wird Zeit, dass die Linkspartei damit beginnt und die Konsequenzen zieht. Aber dafür ist es wohl schon längst zu spät.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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