The European, 25. September 2012

Der schüchterne Scheinriese

Deutschland ist die wirtschaftliche Supermacht in Europa und hat den Vorsitz im Weltsicherheitsrat inne. Für eine außenpolitische Führungsrolle die Bundesrepublik dennoch nicht in Frage

Es ist ein Stelldichein der Großen und Mächtigen dieser Erde. Regierungschefs, Staatsoberhäupter und Außenminister – sie alle kommen dieser Tage nach New York, um sich bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen der Weltöffentlichkeit zu zeigen. Auf dass ein jeder sehe, wer das Sagen hat. Bühne frei für ein einzigartiges politisches Schauspiel.

Die USA, Russland und China nehmen dabei wie immer in der ersten Reihe Platz. Indien, Brasilien, Frankreich und Großbritannien sind gleich dahinter zu finden. Und Deutschland, Europas wirtschaftliche Supermacht? Übernimmt wie stets seine allseits beliebte, selbst angenommene Statistenrolle. Lieb, nett und geschätzt, sicherlich. Auch nützlich. Aber keinesfalls so einflussreich, wie manch Unbedarfter annehmen könnte. Deutschland ist – weltpolitisch betrachtet – ein Scheinriese.

„Welch ein Unsinn“, werden Sie jetzt einwenden. Die Bundesrepublik hat doch derzeit sogar den Vorsitz im Weltsicherheitsrat inne. Wenn es um die Belange Europas und die der Welt geht, wird Berlin zudem immer wieder von allen wirklich Wichtigen konsultiert. Rat und Tat sind dann gefragt. Und haben wir nicht die mächtigste Frau der Welt an der Spitze unserer Regierung? An Angela Merkel kommt keiner vorbei. Sieht so Schwäche aus? Unsinn! Deutschland ist wieder wer! Nicht wahr? Ach, wenn’s nur so wäre. Ist es aber nicht, leider.

Nun soll hier nicht irgendeiner Großmannsucht aus, Gott sei Dank längst vergangenen, unseligen Zeiten das Wort geredet werden. Nein, hier und jetzt geht es darum, Politik im Weltmaßstab mitzugestalten. Also im besten Sinne Vorbild, Vordenker, Ideengeber und Konfliktlöser zu sein. Das Zeug dazu hätte die Bundesrepublik, die Möglichkeiten sowieso.Aber was macht sie daraus? Auf jeden Fall viel zu wenig. So, als sei Deutschland immer noch gelähmt ob der braunen Vergangenheit, als traue es sich nichts zu, weil man den Argwohn der anderen fürchten müsse. Doch diese German Angst entpuppt sich bei unvoreingenommener Betrachtung als Trugschluss. Einer, der offenkundiger Mutlosigkeit, ja Hasenfüßigkeit geschuldet ist.

Denn nicht alle, aber doch die meisten Staaten dieser Welt erwarten von Deutschland nicht weniger, sondern gerade mehr Engagement. Und wie reagiert der so Angesprochene? Mit demonstrativer Zurückhaltung. Eine Großmacht, die sich bewusst kleinmacht. Irgendwie feige. Denn mit Klima- und Kinderschutz allein ist es heutzutage nicht mehr getan. Wer sich zum Nutzen aller profilieren will, muss sich auch anderen, manchmal noch heikleren Problemen stellen. Nicht als Statist, der gerne das Scheckbuch zückt, sondern als Akteur, der vor klaren Worten nicht zurückschreckt.

Zum Beispiel im Nahostkonflikt. Klar, Berlin macht eine ganze Menge, um die Kontrahenten zu beruhigen, redet ihnen gut zu, versucht, Wogen zu glätten. Was dieser Art Politik allerdings völlig fehlt, ist kraftvolle, selbstbewusste Eigenständigkeit. Immer versteckt sich Deutschland hinter der Europäischen Union, gegebenenfalls auch hinter den USA. Stets geht es um einvernehmliches Vorgehen. Man stimmt sich dann so unendlich oft ab, dass am Ende nur noch Weichgespültes übrig bleibt.

Warum „traut“ sich die Bundesrepublik nicht mehr zu? Warum nutzt sie nicht ihr gutes „Standing“ bei Israelis und Palästinensern, um auf beide Seiten gleichermaßen Druck auszuüben, ihnen längst überfällige Konzessionen abzuringen? Keiner käme auf die Idee, dies als undiplomatisches und damit unerhörtes Vorgehen in Bausch und Bogen zu verdammen. Auch die USA, Russland, China, die Vereinten Nationen und die EU wären sicherlich nicht traurig, wenn sich mal ein anderer weltpolitisch ins Zeug legen würde.

Klar, der Euro will noch gerettet werden. Und ohne Berlin geht das wohl kaum.Dennoch dürfte es neben dieser Aufgabe immer auch ein wenig Spielraum für ebenfalls Drängendes geben. Deutschland hat diesen Spielraum, nur wird er kaum genutzt. Schade eigentlich. Denn das heißt im Klartext: Die Bundesrepublik kommt auf absehbare Zeit für eine außenpolitische Hauptrolle nicht in Betracht. Aber es muss ja auch Statisten geben.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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