Jungle World, 2. Oktober 2014

Öffentlich, rechtlich - tendenziös?

Böhmische Dörfer (45): Warum die Ukraine-Berichterstattung von ARD und ZDF unter Beschuss ist

Unausgewogen, tendenziös, einseitig – die Vorwürfe gegen die Ukraine-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wiegen schwer. Seit Wochen gibt es von mehreren Seiten heftige Schelte für ARD und ZDF. Da ist zum Beispiel die Politik, namentlich vor allem Grüne und Linkspartei. Beide lassen inhaltlich kaum ein gutes Haar an den Schilderungen des Konflikts am Rande Europas. Gleiches gilt für einige Blogger. Sie machen regelrecht Front gegen die ihrer Überzeugung nach indiskutable Darstellung des dortigen Geschehens.

Der Tenor der Kritiker ist dabei weitgehend identisch: Die Sender würden sich zu oft auf Kiews Seite schlagen und damit berechtigte russische Befindlichkeiten ignorieren. Putin, pfui – Poroschenko, hui – diese Rechnung gehe nicht auf. Die Anklage der Empörten gipfelt dann auch in der Anschuldigung, ARD und ZDF vernachlässigten ihre Sorgfaltspflicht in grober Weise. Und Sahra Wagenknecht wirft sich von Linksaußen für Moskau in die Bresche und poltert in Richtung “Das Erste”: Dort mache man sich zum “willfährigen Handlanger politischer Interessen”.

Die Öffentlich-Rechtlichen sind also eine Propagandaeinheit, die wahlweise von Kiew oder Berlin aus gelenkt wird? Tagesthemen und Heute Journal indoktrinieren uns Fernsehzuschauer so massiv wie  vorsätzlich? Die betreffenden Redakteure machen sich zu journalistischen Handlangern der ukrainischen und deutschen Regierung, die bekanntermaßen den Kremlchef verteufeln? Potz Blitz! Da ist mir offenkundig etwas entgangen. Was vermutlich an meiner eigenen Voreingenommenheit liegt. Denn ich halte Wladimir Putin für einen lupenreinen Machtpolitiker. Einen geschickten Zocker, der schaut, wie weit er ungestraft gehen kann.

Mir ist klar: Diese Sichtweise macht mich zu einem Teil der sogenannten veröffentlichten Meinung. Und mit der ist derzeit gerade in Deutschland wahrlich kein Blumentopf zu gewinnen. Im Gegenteil. Wer hierzulande schlecht über Zar Wladimir redet und schreibt, der wird Schimpf und Schande ernten. Die Leserbriefspalten und Online-Kommentare sind voller Zorn über jene Autoren, die es wagen, die lauteren Methoden und Absichten des russischen Präsidenten in Zweifel zu ziehen. Da wird man schon mal schnell als Faschist gebrandmarkt, der den Gleichgesinnten in Kiew angeblich zum Munde redet.

So zeigt der Ukraine-Konflikt auf verstörende Art und Weise: Die Kluft zwischen Medienmachern und Medienkonsumenten ist so tief wie selten zuvor. Was nicht zuletzt an Facebook, Twitter und Co. liegt. Das Internet schafft durch seine Flut an ungefilterten Informationen zuweilen neue Wirklichkeiten. Jeder kann sich das heraussuchen, was ihm ins Weltbild passt. Ein Journalist, dessen Aufgabe es ja auch ist, Informationen zu analysieren und einzuordnen, stört da nur. Wladimir Putin sieht das übrigens auch so.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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