The European, 19. Januar 2012

Sein Krampf

Bald soll Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" in Auszügen an deutschen Kiosken verkauft werden. Kein Grund zur Panik - auch wenn das mit Aufklärung nichts zu tun hat

Die einen werden den Verkaufstermin für einen Zufall halten. Andere wiederum wittern womöglich hinter dem Zeitpunkt einen kühl kalkulierten PR-Coup. Und eine weitere Gruppe wird in dem ganzen Vorhaben einen abstoßenden Affront sehen: Am 26. Januar will der Verleger Peter McGee in Auszügen Adolf Hitlers „Mein Kampf“ an deutsche Kioske bringen und in zahlreichen Zeitschriftenregalen auslegen lassen – unmittelbar vor dem Holocaust-Gedenktag, an dem der Millionen Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird.

Das kann, das darf man ohne Weiteres für pietätlos halten. Allerdings dürfte dieser Vorwurf dem Briten ebenso wenig etwas ausmachen wie die Ankündigung des bayerischen Finanzministeriums, als Inhaber der Urheberrechte juristische Schritte gegen das Vorhaben zu prüfen. McGee will – wenn auch im hehren Namen der Aufklärung – nicht zuletzt Geld verdienen. Und als gewiefter Geschäftsmann weiß der 51-Jährige: Der „Führer“ verspricht Kasse, Hitler sells. Die Startauflage von 100.000 Exemplaren spricht eine deutliche Sprache.

Doch wer jetzt vor Empörung rot anläuft, dem sei versichert, dass kein Grund zur Panik besteht. Weder werden hiesige Rechtsextremisten, das Machwerk in Händen haltend, durch unsere Straßen ziehen, noch mutiert der Leser durch die Lektüre des ziemlich wirren, idiotischen Buchs zum Nazi. Also einmal kurz durchatmen, Deutschlands Demokratie steht durch diesen publizistischen Vorstoß nicht auf dem Spiel. „Mein Kampf“ ist nämlich ein einziger Krampf, der so offenkundig einer massenmörderischen Ideologie und wüstem Rassismus huldigt, dass es einen nur abstoßen kann. Auch die jetzt ausgewählten 15 Seiten sind somit nichts anderes als Lektürestoff der übelsten Sorte. Soll der mündige Bürger selbst darüber entscheiden, ob er sich das antut und dafür auch noch Geld bezahlt.

Denn die Euros könnte er sich sparen. Die Hetzschrift kann heutzutage ohne große Mühe aus dem Internet auf den heimischen Computer heruntergeladen werden. Ein paar Klicks, und die 1925/26 erstmals veröffentlichten Bände stehen zur Verfügung. In vielen Ländern (sogar in Israel) wird „Mein Kampf“ schon längst als kompletter Nachdruck angeboten – ohne jede historisch-politische Einordnung, ohne erläuternde Kommentare. Doch Verleger McGee bietet genau das an. Namhafte NS-Forscher wie Hans Mommsen und Wolfgang Benz betreuen das Projekt. Der vermeintliche Zauber des Verbotenen, des Anrüchigen geht damit endgültig verloren. Der Mythos, der dieses dumpfe Pamphlet auf ominöse Art und Weise zu umwehen scheint, wird mit nüchternen Worten als das entlarvt, was er ist: ein Hirngespinst.

In die gleiche Kategorie gehört allerdings auch die Annahme, es bestünde ein öffentliches Interesse daran, „Mein Kampf“ im Originaltext zugänglich zu machen. Das gibt zwar der britische Verleger als Beweggrund an. Doch das ist wohlfeiler Unsinn. Worin, bitte schön, soll dieses angebliche Interesse der Öffentlichkeit bestehen? Kein vernünftiger Mensch muss heutzutage noch über die völkermörderischen Absichten und Ziele des deutschen Diktators informiert, geschweige denn aufgeklärt werden. Dass ein kleiner Teil von Hitlers gedanklichen Ergüssen bald am Kiosk zu haben sein wird, ist folglich kaum mehr als ein Geschäft. Adolf Nazi soll die Kassen klingeln lassen. Mal abwarten, ob diese Rechnung wirklich aufgeht.

Ganz ausschließen kann man das nicht. Der braun gesinnte Menschheitsverbrecher spukt nach wie vor vielen im Kopf herum. Auch – und gerade – die Deutschen, sein einst folgsames Volk, machen da keine Ausnahme. Hitlers Hund, Hitlers Frauen, Hitlers Schwulsein, Hitlers Essen, Hitlers Krankheiten, Hitlers Siege, Hitlers Verbrechen, Hitlers Kampf – der Möchtegern-GröFaZ ist allgegenwärtig. Ein Mythos, ein Monster, ein Mensch, ein Medienphänomen, ein Kultobjekt. Wir sind offenkundig noch lange nicht fertig mit ihm. Genau auf diesen langen Schatten setzt Verleger McGee seine Verkaufshoffnungen. Wenn das der „Führer“ wüsste.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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