Der Freitag, 22. Februar 2012

Vor den Trümmern der Gewissheiten

Das Gedenken an die Opfer des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" ist überfällig. Aber es ist auch eine scheinheilige Geste der Selbstvergewisserung

Wer bei Google die Worte „Gedenken“ und „Deutschland“ eingibt, erhält sekundenschnell gut fünf Millionen Treffer. Ein beachtliches, ein stolzes, ein staatstragendes Ergebnis. Und man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass es schon sehr bald einige Hunderttausend Treffer mehr sein werden. Denn Bundestag und Bundesregierung (der Bundespräsident fehlt ja aus bekannten Gründen) richten morgen gemeinsam eine zentrale Feier für die Opfer der Neonazi-Mordserie aus. Eine derartige Veranstaltung garantiert ein Mindestmaß an zwischenmenschlicher Anteilnahme und ein Höchstmaß an medialer Aufmerksamkeit, sprich: eine Menge neuer Einträge bei Google. Einträge über das gute Deutschland, das dem bösen Deutschland mittels Trauergestus seine moralische Überlegenheit demonstriert.

Endlich, werden viele ausrufen, wurde aber auch allerhöchste Zeit! Zu Recht. Dennoch ist die geplante Trauerfeier für die acht Türken und einen Griechen auch scheinheilig. Es ist ein Akt zur Schau getragener, vor allem unberechtigter Selbstvergewisserung. Einige der Angehörigen werden dies als Schlag ins Gesicht empfinden, weil mit ihren Gefühlen Schindluder getrieben wird.
Ein harsches Urteil, mag man einwenden. Aber ein milderes kommt wohl kaum infrage. Schließlich gründet es auf erwiesener Schuld. Das wiedervereinigte Deutschland hat jahrelang geflissentlich ignoriert und verdrängt, dass der Rechtsextremismus nicht nur eine ideologische Bedrohung darstellt, sondern im schlimmsten Sinne des Wortes auch eine Gefahr für Leib und Leben. Manche Gegenden der Republik haben sich zu recht- und schutzlosen No-Go-Areas entwickelt. Zu Risiken und Nebenwirkungen bei Betreten fragen Sie Ihre zuständige Nazi-Kameradschaft.

Wir wissen das alles – eigentlich. Dennoch werden viele politisch motivierte Straftaten mit eindeutig rechtsradikalem Hintergrund von den zuständigen Sicherheitsbehörden nicht als solche gewertet. Das Offenkundige wird schöngerechnet, schöngeredet und schöngefärbt. Menschenverachtender Rechtsterrorismus? Nicht bei uns! Ein verhängnisvoller Trugschluss, der es – gepaart mit Fixierung auf den militanten Islamismus – der Zwickauer Nazimörderbande ermöglichte, landauf, landab aus rassistischen Motiven zu morden. Ein fremdenfeindliches Killerkommando macht Jagd auf Wehrlose – und keiner will’s bemerkt haben.

Im Gegenteil. Noch vor wenigen Monaten sprach man republikweit ziemlich verächtlich von den „Döner“-Morden. Wenn überhaupt von den acht hingerichteten Türken und dem ähnlich grausam getöteten Griechen die Rede war. Und oft wurde in diesem Zusammenhang etwas von Machenschaften, Mafia und Milieu geraunt. So, als wären die neun Menschen an ihrem grausamen Ende irgendwie selbst schuld. Der unausgesprochene, vorurteilsreiche und für die betroffenen Familien existenzvernichtende Vorwurf: Migranten sind und bleiben uns fremd, Ausländer mit merkwürdigen Eigenheiten eben, manch einer sogar mit einem Hang zum Kriminellen. Ein perfides Gedankengebäude, das von den Rechtsextremisten Uwe M., Uwe B. und Beate Z. gewaltsam eingerissen wurde.

Nun stehen wir ratlos kopfschüttelnd vor den Trümmern unserer einstigen Gewissheiten und suchen nach Halt, insbesondere nach Entlastung. Also gibt sich das offizielle Deutschland zerknirscht, räumt Versäumnisse ein, schaltet auf Trauermodus und gedenkt. Hauptsache, die Verwandten, Freunde und Angehörigen der Ermordeten gewähren Absolution. Doch im Grunde ist das unmöglich, egal wie geschickt Angela Merkel ihre Worte wählen wird. Wie sollen Menschen, die zuvor als „anders“ geschmäht wurden, dem Sünder von der einen auf die andere Sekunde vergeben? Ist es den Müttern und Vätern, den Geschwistern und Kindern zuzumuten, bei einer Gedenkfeier womöglich Beifall zu spenden, wenn die Redner Betroffenheit ob des eigenen Fehlurteils demonstrieren oder in wohlgesetzten Worten Scham darüber bekunden, dass aus rassistisch motiviertem Hass in Deutschland getötet wird? Zu viel verlangt.

Vielleicht ahnt die aufgeschreckte Politik ja, dass sie auf diese Form der Entlastung vorsichtshalber nicht bauen sollte. Und womöglich setzen die Verantwortlichen deshalb auf die vermeintlich heilende Kraft des Geldes. Die Familien der Neonazi-Opfer erhalten eine Entschädigung, 10.000 Euro. Man wolle mit dieser Geste ein Zeichen der Solidarität, der Anteilnahme setzen, heißt es. Ein Scheck soll also die Schmerzen lindern und offenkundige Fehler weniger schwer wiegen lassen – billiger geht es kaum. Ein Ablasshandel der besonders peinlichen Art. Hoffentlich geht diese Mogel-Rechnung nicht auf. Denn wie die angekündigte Trauerfeier ist sie vor allem eines: ein Alibi. Darüber können auch ein paar Hunderttausend neue Einträge bei Google nicht hinwegtäuschen.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

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