The European, 12. November 2012

Die neuen Grünen

Mit Jürgen Tritten und Katrin Göring-Eckardt als Spitzenduo für die Bundestagswahl wird eine Koalition mit der Union denkbar

Welch ein Triumph! Mehr als 70 Prozent der grünen Urwähler wollen Jürgen Trittin als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013. Ob er selbst mit so viel Zuspruch gerechnet hat? Womöglich. Denn der Fraktionschef ist selbstbewusst und sich daher durchaus bewusst, dass seine Partei hinter ihm steht. Trittin überragt seit Langem alle Konkurrenten. Auf Führungsebene kann ihm, der Politik lebt und mehr als  30 Jahre in vorderster Reihe steht, an Einfluss und taktischem Geschick keiner das Wasser reichen.

Auf der Bühne der Berliner Republik ist Trittin bereits unangefochten die grüne Nummer eins – nun kann sich der bürgerlich gesinnte Linke damit brüsten, auch den Großteil der Basis hinter sich zu wissen. Die Mitglieder trauen ihm offenkundig am ehesten zu, die Partei zurück an den Kabinettstisch zu führen. Dass der 72-Prozent-Mann dort einen prominenten Platz einnehmen wird, ist keine Frage. Sofern es die Grünen in die Regierungsverantwortung schaffen. Seit Samstag stehen die Chancen dafür jedoch deutlich besser als zuvor.

Denn an Trittins Seite wird Katrin Göring-Eckardt in den Wahlkampf ziehen. Eine Überraschung, sicherlich. Denn die protestantische Kirchenfrau galt als Außenseiterin, als Kandidatin „unter ferner liefen“. Aber die kluge Entscheidung der Parteimitglieder zeigt wieder einmal, was die Weisheit von vielen wert sein kann. Sie haben erkannt: Mit der Reala aus Thüringen an der Spitze können die Grünen womöglich jenseits der Stammklientel punkten. Vor allem bei Menschen, die sich in der politischen Mitte heimisch fühlen. Für sie dürfte die einstige Ökopartei als künftige Partei der Bürgerrechte und des sozialen Ausgleichs interessant und damit wählbar werden. Vielleicht sogar im Osten der Republik. Göring-Eckardt steht für diese neue Richtung. Und die Basis hat der 46-Jährigen dafür mit 47 Prozent ein grundsolides Mandat gegeben. Die unmissverständliche Botschaft lautet: Wir wollen, dass auch die Nach-Gründer-Generation endlich mal eine Chance bekommt.

Damit ist gleichfalls klar, dass die Oldies – von Trittin als Ausnahmeerscheinung einmal abgesehen – in den Augen vieler einfacher Parteimitglieder weitgehend ausgedient haben. Dieser Wechselstimmung sind nun Renate Künast und Claudia Roth zum Opfer gefallen, bislang die weiblichen Aushängeschilder der Grünen. Offenbar ist die Basis ihrer überdrüssig. Nicht nur, weil sie praktisch ununterbrochen die Geschicke der Partei lenken wollen. Sondern vielmehr, weil sie nicht mehr die Befindlichkeiten, die ideologischen Grundbedürfnisse, die politische Ausrichtung der Mitglieder spiegeln. Die beiden repräsentieren eine Partei von einst, die es so gar nicht mehr gibt. Das Linke, das Schrille, das Kuriose, das Anarchistisch-Folkloristische – es wird immer weniger goutiert, ist offensichtlich Vergangenheit.

Das gilt auch für die Festlegung auf Rot-Grün. Klar, ein Bündnis mit den Sozialdemokraten wird offiziell weiterhin klar favorisiert. Und mit gleicher Verve verdammt man eine Koalition mit den Schwarzen. Aber diejenigen, die jetzt das neue Spitzenduo bestimmt haben, sehen das allem Anschein nach weniger ideologisch als pragmatisch. Rot-Grün mag zwar noch auf der Wunschliste oben stehen. Doch folgt daraus keineswegs, mögliche Avancen von konservativer Seite von vorneherein als Teufelszeug abzulehnen. Für die Basis ist Schwarz-Grün sehr wohl eine denkbare Option. Sonst hätte man wohl kaum eine wie Göring-Eckardt auf den Schild gehoben.

Auch Jürgen Trittins Inthronisierung widerspricht dieser Sichtweise nicht im Geringsten. Der Frontmann mag einer Koalition mit den Sozialdemokraten prinzipiell den Vorzug geben. Er ist allerdings erfahren genug, um zu wissen: Verhandlungen mit der SPD können sich als schwierig und ziemlich unangenehm herausstellen. Das überhebliche Gerede vom Koch und Kellner aus den Gerhard-Schröder-Zeiten hat Spuren hinterlassen. Und ob das mit dem eigensinnigen, oft hochmütig auftretenden Peer Steinbrück anders sein würde, ist die große Frage.

Vielleicht ließe sich eine Koalition mit Angela Merkel wesentlich einfacher auf den Weg bringen. Es ist kein wirkliches Geheimnis, dass Trittin mit der Kanzlerin recht gut kann und in vielen Sachfragen, zum Beispiel bei der Euro-Krise, prinzipiell auf einer Linie liegt. Und den einstigen ideologischen Schützengraben namens Atomausstieg hat die CDU-Chefin nach dem Fukushima-Schock eigenhändig in Rekordgeschwindigkeit zugeschüttet.

Ein Bündnis mit Schwarz? Was spricht eigentlich dagegen? Aus Sicht der grünen Basis anscheinend wenig. Schließlich ist Politik in erster Linie die Kunst des Machbaren. Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt sind gewählt worden, um dies zu beherzigen.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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