Starke Meinungen, 23. November 2011

Von mörderischen Nazis, bösem Erwachen und neuer Wehrhaftigkeit

Wie die Rechtsterroristen Deutschland aus dem politischen Tiefschlaf rissen

Wenn es nicht so einen üblen Würgereiz verursachen würde, müsste man eigentlich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe dankbar sein. Denn ihr mörderisches Treiben hat das politische Deutschland aus einem selbstgefälligen, alles verdrängenden Tiefschlaf geweckt.

Plötzlich sind alle hellwach und starren mit weit aufgerissenen Augen in den braunen Sumpf, der sich vor ihnen erstreckt. Welch unangenehme Überraschung! Es gibt in der Bundesrepublik gefährliche Rechtsextremisten. Und sogar solche, die aus Hass auf Ausländer und das „System“ acht Türken, einen Griechen und eine Polizistin hinrichten. Das kann doch nur ein Albtraum sein, oder?

Keine Frage, aber eben einer, der nach dem Erwachen weiterhin seinen Schrecken verbreitet. Gut so.Schließlich gilt es, scheinbar eherne Selbstgewissheiten endlich durch einen realistischen Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten zu ersetzen – und dementsprechend zu handeln. Eine aufgrund der vielen Versäumnisse ohnehin ziemlich aufgesetzt wirkende Entschuldigungs-Erklärung des Bundestags kann da nur ein bescheidener Anfang sein. Jetzt braucht es Taten.

Das beginnt schon beim Willen, die Hintergründe der Neonazi-Mordserie lückenlos und ohne Ansehen der Verantwortlichen aufzuklären. Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Warum kam niemand bei den Sicherheitsbehörden auf die Idee, dass die „Döner-Morde“ etwas mit rechtsradikaler Gesinnung zu tun haben könnten? Wie war es möglich, dass es bei der Fahndung nach den Verbrechern zu so vielen Pannen kam? Hatten gar Spitzel ihre Finger im Spiel? Und: Welche Lehren zieht man aus dem Desaster für die Zukunft? Fragen, die dringend auf Antworten warten.

Zu ihnen gehört auch: Warum besinnt sich die Politik erst nach dem Tod von mehreren wehrlosen Menschen eines Besseren und sagt der NPD den längst überfälligen juristischen Kampf an? Auch ohne das zweifelhafte Wirken einiger Spitzel steht die Verfassungsfeindlichkeit der Nichtsnutz-Partei Deutschlands außer Frage. Demokratie und eine offene Gesellschaft sind den braunen Gesinnungsgenossen ein Graus. Ebenso wie Ausländer, Juden und andere Minderheiten. Aus der Ablehnung der hiesigen „Verhältnisse“ machen sie keinen Hehl. Und für ihre Hetze bekommt die NPD auch noch Geld, Steuergeld. Die Parteienfinanzierung macht’s möglich. Ein Unding. Allerhöchste Zeit, dass der Staat seine Wehrhaftigkeit demonstriert. Dazu gehört der neue Anlauf für ein Verbotsverfahren. Man muss sich nur trauen.

Apropos trauen: Die sogenannte Extremismusklausel ist nicht das Papier wert, auf der sie unterzeichnet wird. Sie gehört umgehend wieder abgeschafft. Denn die seit Anfang 2011 verbindliche Praxis, wonach Projekte gegen Rechts nur staatliches Geld bekommen, wenn sie sich explizit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, stellt die Engagierten von vornherein unter linksradikalen Generalverdacht. Da wird Misstrauen gesät, wo Vertrauen eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Sollten unter den Nazigegnern tatsächlich Verfassungsfeinde sein, wären sie ein Fall für den Verfassungsschutz. Eine „Demokratie-Erklärung“ ändert daran auch nichts. Aber sie diskreditiert nun mal die Arbeit derjenigen, die sich aktiv für die Zivilgesellschaft und gegen Rechtsextremismus einsetzen.

Womit wir wieder beim Geld sind. Schwarz-Gelb will nun im Angesicht der Verbrechen der Zwickauer Nazi-Gruppe die Mittel für Initiativen gegen Rechtsextremismus doch nicht wie geplant kürzen. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Schließlich muss der braune Ungeist tagtäglich und langfristig bekämpft werden. Dies ist im genuinen Interesse des Staates. Und deshalb muss er dafür ausreichend Geld zur Verfügung stellen. Sparen gilt hier nicht. Auch die Koalition sieht das jetzt so. Erschütternd nur, dass die Einsicht offenkundig drei menschenverachtenden Rechtsextremisten und ihren Hass-Verbrechen geschuldet ist.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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