Starke Meinungen, 11. Mai 2012

Absturz mit links

Warum die Partei trotz der Droge Oskar nicht mehr auf die Beine kommt

Wagen wir mal ein kleines Gedankenexperiment. Sonntag, kurz nach 18 Uhr. Die Wahllokale in Nordrhein-Westfalen haben seit an paar Minuten geschlossen, die Prognosen werden bekannt gegeben. Ein wenig später dann die ersten Hochrechnungen. Und siehe da: fast nur strahlende Gesichter. Rot-Grün hat es geschafft, die FDP dank Christian Lindner auch. Fünf Prozent, immerhin. Die Piraten bringen es fast aus dem Stand auf acht. Freibeuter-Lachen allenthalben. Die CDU dagegen ist enttäuscht. Gerade mal 30 Prozent. Tja, lieber Herr Röttgen, ist halt bedauerlich, dass immer noch der Wähler entscheidet.

Und die Linkspartei? Dort gibt es richtig lange Gesichter. Wieder gescheitert beim Versuch, in einen (west)deutschen Landtag einzuziehen. Und wie kläglich. Drei Prozent – ein Desaster. Die ganz Roten, sie sind die Hertha der Parteien-Bundesliga: kraftlos, mutlos, hilflos. Dann, so gegen 20 Uhr, der vermeintliche Befreiungsschlag. Oskar Lafontaine erklärt sich bereit, für den Vorsitz seiner geschundenen Partei zu kandidieren. Schließlich kann es nur einen geben. Der inniglich herbeigesehnte Erlöser, der Heilsbringer ist zurück. Und mit ihm die Hoffnung auf bessere Zeiten. Zeiten der Ruhe, Zeiten der Reflexion, Zeiten der programmatischen Schärfe.

Doch schon nach einigen Wochen folgt das böse Erwachen. Auch als Ein-Mann-Partei kommt die Linke nicht auf die Füße. Der Streit geht munter weiter: Osten gegen Westen, Betonköpfe gegen Reformer, Kaderkommunisten gegen demokratische Sozialisten. Das lafontainesche Aufputschmittel zeigt keine Wirkung mehr. Die Droge, sie bleibt wirkungslos. Zu oft verabreicht, zu oft genossen. Und nun? Kein Rausch, nirgends. Eine einstmals veritable politische Kraft verschwindet in der Bedeutungslosigkeit. Das Schlimmste daran: Die Linkspartei ist selbst schuld an ihrem Niedergang.

Seit vielen Monaten kreisen Gysi, Wagenknecht, Ernst und Co. nur noch um sich selbst. Wenn überhaupt, dann treten die Genossen mit hanebüchenen Einfältigkeiten in Erscheinung. Hier ein Glückwunsch an den kubanischen Genossen Fidel Castro, da eine Soli-Aktion für den syrischen Despoten Baschar al Assad. Und um das Ganze ein wenig aufzulockern, gibt’s für das kopfschüttelnde Wahlvolk ein paar neue Runden im Gerangel um Posten und Einfluss. Liegen die Kombattanten schließlich ermattet am Boden, genehmigen sie sich rasch eine Dosis Oskar. Man muss ja irgendwie wieder auf die Beine kommen. Nur gelingt das eben nicht. Die Linkspartei scheint zu stehen, ist aber tatsächlich längst K.o. Da hilft nur eins: Entzug.

Am Besten gelingt der mithilfe echter, ehrlicher Arbeit. Zum Beispiel, indem man bodenständig Opposition macht, also den Regierenden auf die Finger schaut und gegebenenfalls auf selbige haut. Oder wie wäre es mit einem programmatischen Neuanfang, der den Gegebenheiten und Befindlichkeiten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt? Und das mit einem linken Ansatz, der nicht doktrinär daherkommt, sondern modern aufgeklärt.

Es ist ja nicht so, dass es keine „linken“ Themen in dieser Republik gäbe. Euro-Krise, Bankenmacht, schrankenloser Kapitalismus, Mindestlohn oder Betreuungsgeld – das sind Diskussionen, in denen eine inhaltlich glaubhafte linke Stimme sicherlich Gehör finden würde. Doch kein Laut ist zu vernehmen. Nur interner Zank und Missmanagement. Wer so mit sich und seinen Wählern umgeht, steigt unweigerlich ab. Drogen können das auch nicht verhindern. Sie vernebeln ohnehin nur die Sinne, führen zu Realitätsverlust. Am Ende steht das böse Erwachen. Und die eigene Schwäche. Dann ist sogar eine Fünf-Prozent-Hürde unüberwindlich.

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Dr. Christian Böhme
Journalist

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